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„Don Q“
Foto: Isabel Machado Rios

Schwofende Schwellenfigur

02. Oktober 2023

„Don Q“ am Musiktheater im Revier – Tanz an der Ruhr 10/23

Immerhin waren es noch Ritterromane, denen Miguel Cervantes berühmter Antiheld Don Quijote verfiel. Die Epik um König Artus und Co. verschlingt der Junker bekanntlich so manisch, bis er gar nicht mehr unterscheiden kann, was Realität und was Fiktion ist. Heute sind es oft rechtsesoterische bis neofaschistische Contents, die so rasant und massiv über soziale Netzplattformen gejagt werden, bis ihre Konsument:innen ein nicht ganz unähnliches Wahrnehmungsdefizit ereilt. Zwar wähnen sich Verschwörungsströmungen wie „QAnon“ nicht im Kampf gegen Windmühlen im Weißenhaus. Aber es erscheint nicht weniger deviant, dass sie einen satanistischen Pädophilenring hinter den Kulissen von Regierung oder Finanzwelt verorten.

Im Gelsenkirchener Musiktheater im Revier (MiR) bringen Giuseppe Spota, der Direktor der MiR Dance Company, und die israelische Choreografin Jasmin Vardimon eine Cervantes-Adaption auf die Bühne, die im Titel auf den Nachnamen in voller Länge verzichtet. Der Tanzabend heißt schlichtweg „Don Q“. Indes steht nicht fest, ob es eine Anspielung auf den Realitätswahn der „QAnon“-Irrlichter oder eine Branding-Raffinesse aus der Marketingstube war. Fest steht jedenfalls, dass sich das künstlerische Team des MiR für einen Weltliteraturstoff entschied, der allerhand choreografische Anknüpfungspunkte bietet. 

Das gilt nicht nur für Don Quijotes Realitätsentgleisungen (harmlose Schafe als gefährliche Bestien, schlichte Herbergen als stolze Schlösser), zu der es während seiner Abenteuerreise kommt – und die ihr Echo im postfaktischen Wahnsinn der Gegenwart finden. Denn „Don Q“ reitet zudem als Schwellenfigur, eine, die die Zeichen der Zeit nicht mehr erkennen kann. Der Adelige stemmt sich mit seinem Knecht Sancho Pansa gegen den Wandel, gegen den Aufbruch seiner Zeit.

So darf man nicht nur gespannt sein, wie die für ihre Nutzung von Objekten und ihre fantastischen Bühnenbilder bekannte Vardimon den Wahnsinn der Titelfigur darstellt. Denn ebenso Spota bewies bereits mit „Aurora“ im MiR, einer Co-Choreografie mit Roser López Espinosa, wie sich der Aufbruch, der Taumel einer Schwellenerfahrung in einen Tanzabend übersetzten lässt. Inmitten des Reigens schwoft diesmal eine Figur der Weltliteratur.

Don Q | C: Giuseppe Spota/Jasmin Vardimon | So 22.10. 18 Uhr, Sa 28.10. 19 Uhr | Musiktheater im Revier | 0209 409 72 00

Benjamin Trilling

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