Der Knabe brauchte eine neue Hose. Ende der 1960er sollte das im Ruhrgebiet eigentlich kein Problem mehr sein. Doch für den Bochumer Jungen musste auch mal Veränderung her, also waren alle Geschäfte seiner Heimatstadt mit Muttern irgendwann abgegrast. Eigentlich wollte er eh immer nur in den Parka-Shop am Rathaus, aber da wollten die Finanziers gerade nicht hin. Lösung aus allen Richtungen im Pott: Wir fahren nach Essen! Erlebnis pur, nicht nur zur späteren Lichterwoche. Natürlich fuhren alle mit dem Zug, das war damals noch billig. Außerdem war er immer pünktlich – und so landete der Aufmüpfige samt Entourage nach wenigen Minuten am Essener Hauptbahnhof, direkt an der zentralen Shopping-Straße. Als er dort das Schild „Einkaufsstadt“ vom Handelshof leuchten sah, wusste der Sprössling, dass er verloren hatte.
Dieser berühmte Schriftzug ist heute Legende. Aber der Platz sollte natürlich weiterhin werbewirksam genutzt werden – und so steht nach 70 langen Jahren „Einkaufsstadt“ heute der neue Slogan „Folkwangstadt“ da oben an der Fassade. Dennoch: Der große überregionale Shopping-Glanz ist dahin, aber das trifft die anderen immer öder werdenden Innenstädte im Revier natürlich auch. Jetzt erinnert das Schauspiel Essen mit einer temporären performativen Installation „Einkaufsstadt, 4300“ des Trios ACE an die leuchtende Geschichte der ältesten Fußgängerzone Deutschlands. Alia Luque, Ellen Hofmann und Christoph Rufer werden dazu am Kopstadtplatz ein Luxus-Modegeschäft wie aus der Zeit des so genannten Wirtschaftswunders einrichten. Mit Statisten zusammen erzeugen sie ein „Einkaufserlebnis“, eine fast reale Zeitreise mit „echten“ Verkäufer:innen und Mode aus der Adenauer-Ära. Theater in die Stadt zu tragen ist auch eine wichtige Maßnahme gegen die zunehmende Kulturverdrossenheit der Gesellschaft. Das Trio ACE arbeitet immer häufiger auch außerhalb traditioneller Bühnen und bewegt sich dabei im Grenzbereich zwischen Bildender und Szenischer Kunst. Für „Einkaufsstadt, 4300“ gibt es allerdings nur ein exklusives Einzel- oder Zweierticket, was eine „Kaufentscheidung“ im Modegeschäft sicher enorm vereinfacht.
Einkaufsstadt, 4300 | 8. (P), 9., 13., 14., 15., 16., 20., 21., 22., 23., 26., 27., 28.3. | Kopstadtplatz 12, Essen | 0201 8122200
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Täglich 0,5 Promille
„Rausch“ am Schauspiel Essen – Prolog 09/23
„Bedürfnis nach Wiedergutmachung“
Aisha Abo Mostafa über „Aus dem Nichts“ am Theater Essen – Premiere 02/23
Theater als „Schule der Empathie“
Kara und Zintl leiten zukünftig das Schauspiel Essen – Theater in NRW 05/22
Drei wilde C´s im Schnee
„After Midnight“ im Essener Grillo – Theater Ruhr 02/20
„Diese Songs drücken ähnliche Dinge aus“
Florian Heller und Christian Tombeil über „After Midnight“ – Premiere 12/19
Schnellballsystem der Sozialleistungen
Michael Cooneys „Cash“ am Theater Essen – Theater Ruhr 04/19
Selbstvermarktung, um zu überleben
„≈ [ungefähr gleich]“ am 30.11. in der Casa des Grillo-Theaters, Essen – Theater Ruhr 12/18
Flüchtlinge gegen Ping-Pong-Tisch
„Willkommen“ von Lutz Hübner im Grillo-Theater Essen – Theater 12/17
Geschicktes System
„Pussy Riots“ in der Essener Box – Theater Ruhr 07/17
Wenn der Tod zweimal klingelt
„Sophia, der Tod und ich“ am Schauspiel Essen – Theater Ruhr 04/17
Untote auf Drogen
„Die lebenden Toten“ in Essen – Theater Ruhr 04/17
„Das Stück handelt eher von uns selbst“
Jörg Buttgereit über „Die lebenden Toten oder: Monsters of Reality“ in Essen – Premiere 03/17
Von der Straße ins Theater
„Multiversum“ am Theater Oberhausen – Prolog 04/24
Tödlicher Sturm im Wurmloch
„Adas Raum“ am Theater Dortmund – Prolog 04/24
Mackie im Rap-Gewand
„MC Messer“ am Theater Oberhausen – Tanz an der Ruhr 04/24
Die ultimative Rache vor weißer Schleife
„Die Fledermaus“ mit Schauspielstudierenden an den Kammerspielen Bochum – Auftritt 04/24
„Ich mache keine Witze über die Ampel“
Kabarettist Jürgen Becker über sein Programm „Deine Disco – Geschichte in Scheiben“ – Interview 04/24
„Zu uns gehört das Lernen von den Alten“
Intendant Olaf Kröck über die Ruhrfestspiele 2024 – Premiere 04/24
Verloren im Nebel
Das Duo Paula Rot im Foyer des Theaters Duisburg – Bühne 03/24
Glücklich bis ans Ende?
„Star-Crossed Lovers“ in Essen – Prolog 03/24
Ein Baum im Herzen
„Eschenliebe“ am Schauspielhaus Bochum – Prolog 03/24
Liebe und Gewalt
„Told by my Mother“ in Mülheimer a.d. Ruhr – Tanz an der Ruhr 03/24
Über die Familie
45. Duisburger Akzente – Festival 03/24
„Im Gefängnis sind alle gleich“
Regisseurin Katharina Birch über „Die Fledermaus“ an den Bochumer Kammerspielen – Premiere 03/24
Bakterien im Spa
„Ein Volksfeind“ am Theater Dortmund – Prolog 02/24