Äußerer Anlass ist der 100. Geburtstag, den der 1980 gestorbene Tony Smith im September hatte. Voraussetzung ist das bedeutende Werk, mit dem Tony Smith zu den herausragenden Protagonisten der frei konkreten Skulptur gehört. Fundament ist seine frühe Tätigkeit als Architekt, die sich der Schule des modernistischen Bauens zurechnen lässt. Tony Smith arbeitet mit Modulen, mittels deren er Körper bildet und zugleich verschiebt, so dass sich – teils in Farbflächen untergliedert, teils in homogener Materialfarbigkeit – ausgedehnte Verjüngungen und Abweichungen der Winkel ergeben, die noch psychische Aufladungen erfahren. Tony Smith hat auch den Würfel als plastisch energetische Form entdeckt – sein bedeutendstes Werk dazu ist in Bielefeld zu sehen: „Die“ aus dem Jahr 1962 gilt als der erste autonome Kubus in der Kunst. „Die“ besteht aus Stahlflächen und schließt leicht über Menschenhöhe, es ist nicht zu überblicken, aber vorauszusehen und entzieht sich doch dem anschaulichen Wissen. Es ist hermetisch geschlossen und erinnert frappierend an ein Grabmal – ohne, wie Smith selbst gesagt hat, Monument oder Objekt zu sein. Schon dass diese Arbeit gezeigt wird, ist eine Sensation. Aber neben weiteren Skulpturen und den Architekturentwürfen sind auch die Malereien – darunter die Louisenberg-Malereien (1953/54) in der ursprünglichen, originalen Hängung – zu sehen, die ebenfalls auf Modulen beruhen und doch ganz frei, schwebend, überaus sinnlich wirken. Überzeugend ist auch der Ansatz, die Werke der beiden Töchter einzubeziehen. Die selbst international etablierte Kiki Smith zeigt surreal anmutende Bronzen sowie Tapisserien und Glasarbeiten, und Seton Smith wiederum ist Fotografin, die Architekturdetails und Fassaden von Innen und Außen in einer ausschnitthaften verfremdeten Weise festhält und in manchem an die Haltung ihres Vaters denken lässt. Wenn es um die beste Ausstellung des Jahres 2012 geht – die Schau der Familie Smith gehört unbedingt in die engere Wahl.
„Kiki Smith, Seton Smith, Tony Smith“ | bis 25. November | i Kunsthalle Bielefeld | Artur-Ladebeck-Straße 5 , Bielefeld | www.kunsthalle-bielefeld.de
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