Einsamkeit und Sex und Mitleid
Deutschland 2017, Laufzeit: 119 Min., FSK 16
Regie: Lars Montag
Darsteller: Jan Henrik Stahlberg, Friederike Kempter, Bernhard Schütz, Rainer Bock, Maria Hofstätter, Lilly Wiedemann, Taliha Iman Celik, Hussein Eliraqui, Katja Bürkle, Eva Löbau
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Mittelstandsmenschen suchen nach einer glücklichen Begegnung
Me, myself and I
„Einsamkeit und Sex und Mitleid“
Lesen Sie auch unser Interview dazu mit Darsteller Rainer Bock.
„Weißt du, was ich mir wünsche? Dass du ein Mal die Welt mit meinen Augen sehen könntest“, klagt Maschjonka. Sie lebt vegan, ihr Mann Robert aber ist Freizeit-Imker. Robert erkennt: „Außer meinen Bienen braucht mich keiner.“ Hier sieht niemand die Welt durch die Augen eines/r anderen. Auch nicht, als eine Tochter verschwindet.
Dieses entführte Kind verbindet einige Handlungsstränge in Lars Montags Kinodebüt „Einsamkeit und Sex und Mitleid“. Das Titel-Trio erinnert an die Nationalhymne – und konterkariert sie: Einigkeit fehlt, Recht spielt – wie im Entführungsfall – keine Rolle. Das Übermaß an Freiheit führt zu Einsamkeit. Einsam sind hier alle und dabei auch mitleidlos.
Sex bekommen die 14 allesamt hervorragend gespielten Hauptfiguren nur, wenn er bezahlt oder via Datingportal organisiert wird. Wobei sich für Supermarktleiter Uwe der Nickname „Brandbeschleuniger XL“ als fruchtbar erweist. Jedenfalls interessiert sich die Künstlerin Janine mehr für sein „XL“ in der Hose als für ihn. Immerhin verläuft der Sex zufriedenstellend. Die Ex-Frau des Filialleiters ordert derweil einen Callboy: „Ich hab jetzt nicht so ausgefallene Wünsche. Beschnitten, kann ich mal sehen? Prima.“ Und die Freundin des Callboys, im gleichen Gewerbetätig, landet –wie der Imker – als Kunstobjekt in Janines Atelier. Deren Arbeiten sind farbenfrohe, tieftraurige und sehr schöne Fotoporträts, die entstehen, nachdem sie ihre angekleideten Modelle komplett angemalt hat.
Ein Erzählknäuel von Mittelschichtsirrungen also, mal mehr mal weniger fesselnd erzählt, auch mal zu sehr auf Gag inszeniert, ungewöhnlich und unterhaltsam. Zusammengehalten werden die Geschichten von einer kindlich ironischen Erzählstimme, die Überleitungen und verbindende Hinweise wispert. Dieser leicht verträumte Klang wird unterstrichen durch die zarte aber effektive Musik von Konstantin Gropper.
Kontaktversuche im real existierenden Alltag entwickeln sich kläglich: Da ist der dominante und uncoole Polizist, der eine Angstpatientin erobern will. Und der zu Unrecht wegen sexueller Übergriffe gefeuerte Lehrer Ecki, der nun zwecks Frustabbau anderen anbietet, das Mobiliar eines ganzen Zimmers zu zertrümmern und dabei den traurigen Imker kennenlernt. Und Johannes, der sehr religiöse und sehr von Schuldgefühlen beladene Schüler, der Swentja liebt (übrigens Schwester des Entführungsopfers und Tochter des Imkers) aber chancenlos ist. Denn Mahmud ist verwegener. Der braucht, um es nicht zu vermasseln, die Beratung seines kleinen Bruders, einer der Jüngsten und vermutlich der Weiseste in diesem Reigen.
Der Film sieht nach Großstadt aus, gedreht wurde in Halle und Leipzig, auch an kuriosen Orten wie einer kaltblauen Silent Disco, in der die Gäste die Musik für ihre einsamen Tänze über Kopfhörer hören. Doch besonders das beeindruckende Ensemble sorgt dafür, dass die Episoden dieser Tragikomödie auch nach dem Kinobesuch nicht in Vergessenheit geraten. Und dass man mit den Einsamen durchaus Mitleid hat.
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