AutorInnen wehren sich meistens dagegen, wenn ihre Ich-Erzähler mit ihnen selbst verglichen werden. Sascha Bisley spielt in seinen Lesungen mit diesem Verhältnis. Mit seinem Erscheinungsbild, seiner rauen Stimme und natürlich der eigenen Vita. Als eine „Ansammlung von Geschichten, die ich wirklich erlebt habe“ bezeichnet er sein neuestes Buch „Bisleyland. Abenteuer im Abseits“. Auch als Frage an den Nordstadtmusiker Boris Gott, mit dem er gemeinsam an diesem Abend in einem Zirkuszelt im Dortmunder Keuning-Park auftritt. Der Liedermacher singt Titel aus seinem neuesten Album „Bukowski-Land“. Im Song „Ikea-Bällebad“ feiert er eine kindlich-konkrete Konsumkritik: „Ich tauch' ab ins Ikea-Bällebad/ Ich fühl' mich frei wie ich noch nie war/ Ich hab' ein Häufchen reingemacht“. Bisley hakt direkt nach: Ob er das wirklich gemacht hat? Und bietet sich schon mal an: „Falls nicht, würde ich das gerne gemeinsam mit dir machen.“ Geschichten über das Leben taugen bei Bisley nicht, sie müssen dem Leben abgerungen sein. Und die kernasoziale Geste ist ein ästhetischer Wink.
„Bukowski-Land“, so auch der Titel eines Album-Songs von Boris Gott, fasst beide Künstler treffend zusammen: Den Liedermacher, weil er in seinen melancholischen Zeilen nicht ohne Stolz durch den tristen Großstadtalltag streift: „Ich hab kein Heimatland/ Nein, das ist abgebrannt/ Mir bleibt der Nordstadtstrand/ Bei uns hier im Revier regiert Hartz 4.“ Aber auch Bisley, dessen Erzählungen an die subproletarischen, schmuddeligen Lebenswelten und die derbe, direkte Sprache des US-Dichters erinnern. Ums Kiffen und billiges Bier, Herumhängen und Ärger machen geht es etwa in den jüngsten Erzählwelten Bisleys.
Und der gebürtiger Hagener weiß, wovon er schreibt. Es gibt kaum ein Interview, kaum ein Artikel, in denen, wenn seine Bücher und Texte besprochen werden, nicht auch seine eigene Lebensgeschichte thematisiert wird: Als Jugendlicher trieb er sich in der Hooligan-Szene herum. Alkohol, Drogen und vor allem Gewalt prägten den Alltag. Als 19-Jähriger prügelt er im Vollrausch mit Freunden so schwer auf einen Obdachlosen ein, dass dieser schließlich an den Folgen stirbt. Bisley entschuldigte sich bei seinem Opfer, der Mann vergab ihm vor seinem Tod. Später wird Bisley auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen.
Die „kernasoziale Bibel meiner Kindheit“ nennt der Autor seine Autobiographie, in der er seine Erfahrungen verarbeitet hat. Mit „Zurück aus der Hölle: Vom Gewalttäter zum Sozialarbeiter“ erlangte der Dortmunder auch Bekanntheit in der Öffentlichkeit. Seitdem hat er viel geschrieben, Texte auf seinem Blog oder Kurzgeschichten. Unter dem Motto „Bisley spricht zu Gott...und Gott singt zurück“ liest der heutige Sozialarbeiter an diesem Abend im Keuning-Park eine Auswahl. Es geht um die verkorkste Kindheit, ein trinkfreudiges Loser-Dasein, zu dem gehörte, nicht zu den Partys von MitschülerInnen eingeladen zu werden, „aus Angst, er könnte den After-Shave-Vorrat des Vaters austrinken“. Oder um die erste Arbeitserfahrung, im Praktikum, und die vier Gründe, warum ihm die Arbeit nicht behagte: Frühaufstehen, pünktlich erscheinen, nüchtern sein und arbeiten. Und immer wieder diese derben Wutausbrüche seines Ich-Erzählers. Über „Katzenmenschen“, über „Kindermenschen“, über fette Kinder, über Rassismus. Dem Publikum im Keuning-Park gefallen offensichtlich die Texte Bisleys und die Zeilen von Boris Gott. So schreiben nur KünstlerInnen, die in der Dortmunder Nordstadt geerdet sind. Kiezkernasoziale Melancholie. Wahrscheinlich hätte auch Bukowski daran seine Freude gehabt.
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