Die vierten „Urban Lights Ruhr“ haben sich Marl als Veranstaltungsort ausgesucht. Das Thema war schnell klar aufgrund der Geschichte der Ruhrpott-Stadt: Utopie und Dystopie. Marl ist eine Zechenstadt enttäuschter Hoffnungen: In den 60er Jahren wurde ein immenser Rathauskomplex auf dem Creiler Platz gebaut in der Annahme, dass die Stadt auf 500.000 Einwohner anwachsen würde. Tatsächlich waren es bereits in den 70er Jahren bloß 100.000 und heute sind es nur noch 80.000. Das hat natürlich auch mit der Zechenschließung zu tun. Solch spannende wie auch traurige Hintergründe spiegelten sich in den Installationen wieder.
Der gelbe Faden des fußläufig leicht zu bewältigenden Licht-Parcours war ein von der FH Dortmund erstellter Farbstreifen auf den Wegen, der den Flug der Motte nachahmen sollte: Sie findet eher wirr zum Licht – und erlebt eventuell eine Enttäuschung, wenn sie es erreicht. Das Festivalzentrum und Café an der Kampstraße, bewusst gewählt in einer leer stehenden ehemaligen Hauptschule, war auch im Innenraum mit dem gelben Farbstreifen und Gelbtönen gestaltet, zudem zeigten Videoinstallationen den simulierten Flug aus den Augen einer Motte.
Von außen sah man in der Fensterfront drei verschiedene, aber inhaltlich korrelierende Videos des Künstlers Nikolaus Gansterer, der passend zur Schule stilistisch viel Kreide- und Projektor-Arbeit einfließen ließ. Thematisch beschäftigten sich die Videos mit Systemen, die sich ständig verändern, verbinden, neu interpretiert werden und auch eine Verbindung zu Marl und dem Untertagebau schufen. Es gab auch Lesungen, Theater, Filmscreening oder Führungen. Für das Wasserballett wurde ein leer stehendes Becken am Skulpturenmuseum Glaskasten wieder aufgefüllt. Via Video war das Event danach im Festivalzentrum zu sehen.
Die Installationen waren abwechslungsreich, manche brauchten Tageslicht, andere die Nacht, um ihre volle Wirkung zu entfalten. Auch Audiomedien wurden genutzt, zum Beispiel bei der Verwandlung des Parkplatzes am Skulpturengarten als Nicht-Ort zu einem Ort des Verweilens, Hinsehens und Hinhörens der Künstlerin Hannah Weinberger. Skulpturen aus Münster aus dem vorherigen Austausch-Projekt „The Hot Wire“ wurden mit einbezogen wie die Melonensäule von Thomas Schütte. Marl ist als Skulpturenstadt mit rund hundert Objekten bekannt.
Wortwörtlich nahmen es die Leuchtschriften „(Un)Finished“ und „Dys(U)topia“, die zuerst auf dem Arbeitsamt und Amtsgericht angebracht wurden – beides Orte, die den Menschen, die sie betreten, Hoffnung oder Enttäuschung bescheren können. Für die letzten Tage des Festivals wechselten die Leuchtschriften zum Creiler Platz. Dort herrschten wiederum die Farben Gelb, Rot und Blau als Anspielung auf den niederländischen Künstler Piet Mondrian vor, mit diversen Licht-Installationen von Martin Pfeifle im Skulpturenmuseum Glaskasten, auf dem Platz wie auch am Rathauskomplex selbst.
Der gesamte Betonkomplex inklusive des Beckens soll farbenfroh saniert werden, um wieder Leben auf den Platz zu bringen, jedoch zieht sich das Vorhaben wegen Denkmalschutz-Diskussionen hin. Ob diese Utopie real wird, bleibt also abzuwarten. Dystopisch verabschiedet haben sich die Marler jedoch schon im letzten Jahr von ihrem seit 2001 geschlossenen Hallenbad. Nur noch ein Schild neben der Hauptschule weist auf den Abriss hin. Wer in gute Stimmung versetzt werden wollte, konnte sich seinen Applaus durch die auf Besucher reagierende Lautsprecher-Installation am Forumsplatz abholen, ein Ort, der – nachts nicht ganz ungefährlich – auch seine Negativseite hat. Selten wird man hier so viel Gelächter gehört haben wie während der „Urban Lights Ruhr“.
Besonders kritisch zeigte sich die Verwandlung einer Laterne in eine Popcorn-Maschine, die das Popcorn auf den Boden unter ihr fallen ließ, als Hinweis auf den Umgang mit Nahrungsüberschuss wie auch die ‚Lichtverschmutzung‘ durch unnötigen Dauerbetrieb. Manchmal braucht es eben nur ein kreatives Umdenken, wie sich mit einem umgedrehten Schirm darunter zu stellen und das Popcorn aufzufangen, um eine negative Situation in eine positive zu verwandeln - und so eine Utopie real werden zu lassen.
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