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Tanya Stewner im Dialog mit dem jungen Publikum
Foto: Frank Kurczyk

Frau Dr. Doolittle

26. September 2013

Wuppertaler Kinderbuchautorin gibt Tieren eine Stimme – Literatur Portrait 10/13

Mit Tieren sprechen zu können – wer hat nicht als Kind diesen Wunsch gehegt? Mit den Jahren verblasst diese Vision bei den meisten, auch wenn sich mancher Hunde- oder Katzenhalter in meist unbeobachteten Momenten vor seinem Tier zum Affen macht. Ein paar jedoch verfolgen diese Idee weiter und werden zum Beispiel Zoologen und Verhaltensforscher – oder aber Schriftsteller und erfinden schlicht und einfach eine der sympathischsten Kinderbuchheldinnen unserer Zeit: Als die 1974 in Wuppertal geborene Autorin Tanya Stewner 2007 den Roman „Liliane Susewind – Mit Elefanten spricht man nicht“ veröffentlicht, ahnt wohl noch nicht einmal sie selbst, dass sich hieraus eine Buchreihe entwickeln könnte, die seit diesem September neun Bände umfasst.

Mit Elefanten spricht man nicht
Dabei hegt Stewner schon mit zehn Jahren den Berufswunsch Schriftstellerin, den sie zielstrebig verfolgt. Nach dem Abitur beginnt sie zunächst, in Düsseldorf Literaturübersetzen zu studieren, was sie jedoch abbricht, um sich in Wuppertal der Anglistik, Germanistik und Allgemeinen Literaturwissenschaft zuzuwenden. Auch wenn man geneigt ist, ihren Namen englisch auszusprechen, liegt ihr einziger direkter Kontakt mit diesem Sprachraum in einem zweijährigen Aufenthalt in London, wo sie von 1996 bis 1998 studiert und bei einem Verlagspraktikum erste Tuchfühlung mit dem Buchmarkt aufnimmt. In dieser Zeit beginnt sie auch die Arbeit an ihrem Roman „Das Lied der Träumerin“, der Geschichte einer Sängerin, die in London ihr Glück sucht. Doch diese Geschichte, die sich vorrangig an junge Erwachsene richtet, soll noch etliche Jahre reifen, bis sie gedruckt wird. Ein kleines, rot gelocktes Mädchen jedoch gibt Stewners Karriere einen Schubs. Aus der Kindheitsidee, mit Tieren kommunizieren zu können, entwickelt die Autorin 2003 die Figur der Liliane Susewind. Zunächst sucht sie vergeblich eine Agentur für den Kinderroman und sammelt Absagen von Verlagen. Der Kinderbuchzweig „Schatzinsel“ des renommierten Fischer-Verlages erkennt schließlich die Qualität und das Potential der Geschichte. „Mit Elefanten spricht man nicht“ wird zu einem Überraschungserfolg, insbesondere Mädchen sind begeistert. Der Verlag vermarktet „Liliane Susewind“ dann auch gezielt als Reihe für Mädchen, worüber Tanya Stewner nicht unbedingt glücklich ist: „Eigentlich sehe ich auch Jungen als Leser meiner Geschichten. In der Figur des Jesajah habe ich Lili einen Freund an die Seite gestellt, den auch viele Leser mögen. Der Verlag bewirbt aber eine Jungen- und eine Mädchenschiene, und so sind die Bücher um ein Mädchen, das mit Tieren spricht und Blumen zum Blühen bringen kann, eher in die rosa Ecke gestellt worden.“ Da wundert es nicht, dass bei den Lesungen überall Locken, Haarspangen und Pferdeschwänze das Publikumsbild prägen. Es stellt sich die Frage, wie Tanya Stewners eigene Tochter damit umgeht, die Phantasie der Mutter mit zigtausend anderen Kindern teilen zu müssen. Stewner winkt amüsiert ab: „Meine Tochter Mailena ist erst eineinhalb Jahre alt. Sie weiß also noch gar nicht, was Mama beruflich macht.“

Keine Herrin der Fliegen

Stewner lässt in ihren Kinderbüchern auch gesellschaftliche Themen anklingen, die Kinder und Jugendliche berühren, von Mobbing an der Schule bis hin zu den lesbischen Müttern eines Mädchens. Dies gelingt ihr, ohne der eigentlichen Geschichte etwas „aufzupfropfen“, ohne dass Witz und Spannung verlorengehen. Ihr ist es wichtig, nicht mit erhobenem Zeigefinger zu schreiben, aber dennoch Positionen zu beziehen. Deutlich wird dies natürlich besonders in Fragen des Tier- und Naturschutzes. Jeder „Liliane Susewind“-Band stellt ein anderes Tier in den Vordergrund. Auf die Elefanten des ersten Bandes folgten Raubkatzen, Pferde, Delfine, Wölfe ... und aktuell Pinguine. Stewner recherchiert für ihre Bücher unter anderem in Zoos, beobachtet die Verhaltensweisen der Tiere ganz genau und vermag mit diesem Beobachtungen den verschiedenen Tieren unterschiedliche, sehr charakteristische Stimmen zu verleihen. Die Ideen dürften Tanya Stewner vorerst nicht ausgehen. Auf die Frage, ob es auch eine Tiergattung gibt, zu der ihr keine Geschichte einfalle, eventuell der eigene Zugang fehle, antwortet sie ohne große Umschweife: „Ja, Insekten! Die finde ich sehr schwierig und lasse sie in den Lili-Geschichten deswegen außen vor. Es wäre wohl eher unheimlich, wenn Lili z. B. ständig von Fliegen verfolgt würde. Ansonsten mag ich eigentlich alle Tiere. Gerade verschiedene Arten zu beschreiben – Säugetiere, Vögel, Fische – hält die Reihe für mich interessant. Als nächstes schreibe ich übrigens über eine Eule. Das wird Band 10.“

Liliane Susewind trifft nicht nur den Nerv deutschsprachiger Leserinnen, sondern hat sich zu einer internationalen Marke entwickelt. In China, Frankreich, Japan, Korea, den Niederlanden, Polen, Spanien und Schweden ist die Heldin aus Wuppertaler Feder bekannt. In Japan mit knalligem, Manga-ähnlichem Cover, in Frankreich eher gediegen anmutend wie ein „Tintin“-Band. In einigen Ländern werden die Original-Illustrationen von Eva Schöffmann-Davidov auch beibehalten. Die Autorin beobachtet dies mit Staunen: „Es passt wohl jedes Land die Cover an die Zielgruppe an, und manchmal treffen die deutschen Illustrationen wahrscheinlich einfach den nationalen Geschmack. Manchmal auch nicht. Die Franzosen haben Lili z. B. nicht nur ein ganz anderes Äußeres verpasst, sondern ihr gleich einen komplett neuen Namen gegeben („Zoé Alizée“). In Schweden gibt es kaum Menschen mit lockigen Haaren (so sagte man mir), und deswegen durfte auch keine lockige Lili auf das Cover der schwedischen Ausgabe. Sie hat dort kurze, glatte Haare.“

Im Wachtraum

Liliane Susewinds internationaler Erfolg dürfte letztlich auch ausschlaggebend gewesen sein, dass schließlich auch der damals in London begonnene Erstlingsroman „Das Lied der Träumerin“ veröffentlicht wird. Die Hardcover-Ausgabe erscheint 2011 in der Reihe Fischer-Jugendbuch. Diese Kategorisierung sieht die Autorin durchaus kritisch. In Ihren Augen ist der Roman eher ein „All-Age-Roman“, der vielleicht besonders reflektierte Jugendliche ansprechen könnte, seine eigentliche Leserschaft aber im Kreis der 18- bis 30Jährigen finden dürfte. Mit ihrem Roman möchte Stewner zum Träumen einladen, definiert aber den Begriff des Träumens sehr eigensinnig: „Träumen bedeutet für mich, so wach wie möglich zu leben, sich sein Leben konkret anzusehen und zu überlegen, ob man es eigentlich so führt, wie man möchte. Falls nicht – könnte man etwas daran ändern? Sollte man nicht etwas daran ändern? Ich würde mir wünschen, dass das Buch dem Leser ein wenig Mut schenkt, sich seinen ureigensten Träumen und Wünschen zu öffnen. Sei das nun der Traum von einer Karriere als Musikerin wie Angelia ihn träumt, oder der Traum von einem eigenen Haus, einer Weltreise, einer Scheidung, einer Stundenreduzierung im Job, einem eigenen Zimmer nur für sich allein, der Traum von einer eigenen Familie oder davon, selbstständig zu arbeiten. Das Leben ist zu wertvoll, als dass man sich vom Alltag auffressen lässt, einfach immer weitermacht und nicht mehr auf sein Herz hört.“
Tanya Stewner hat auf ihr Herz gehört. Wenn man sie bei einer Lesung beobachtet, wie sie in die Charaktere ihrer Bücher schlüpft und sich nicht selten selbst vor Lachen beinahe schüttelt, wenn man erlebt, wie intensiv sie den Kontakt zu den zuhörenden Kindern sucht und für alle Fragen offen ist, erkennt man, dass Beruf und Berufung eins sind. Überhaupt, die Kinderfragen – ob eine dieser Fragen sie einmal besonders überraschen konnte? „Oh, oft! Ich wurde z. B. mal gefragt, ob ich selbst mit Tieren sprechen könnte. Oder warum Jesahja Jesahja heißt. („Warum heißt der nicht Tom?“ war die Anschlussfrage.) Außerdem werde ich oft gefragt, wie groß ich bin, wie viel Geld ich verdiene, und ob man mich mal zu Hause besuchen kann. Kinder sind in ihren Fragen sehr direkt, aber gerade das finde ich sehr erfrischend!“

Tanya Stewner: Liliane Susewind I alle 9 Bände bei S. Fischer

FRANK SCHORNECK

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