Wodka gegen die Wiederkehr des Gleichen

„Onkel Wanja“, Foto: Birgit Hupfeld

Wodka gegen die Wiederkehr des Gleichen

Anton Tschechows „Onkel Wanja“ am Theater Dortmund

Steigende Mieten bringen es mit sich, dass Tschechows Stücke wieder brandaktuell sind. Das liegt auch am Ratschlag der Bundesbauministerin, aufgrund der Wohnungsnot in den Metropolen, aufs Land zu ziehen. Dorthin, wo Tschechows Bühnenklassiker spielen, da, wo seine Figuren vergeblich von einem besseren Leben und Glück träumen, in die Provinz, in der Tschechow selbst als Landarzt tätig war. Vielleicht finden sich deshalb so viele Widergänger in seinen Werken, so wie der zynische Ástrow in „Onkel Wanja“.Im Theater Dortmund gibt Alexander Darkow diesen Landarzt, der über seinen Berufsalltag jammert und daraufhin einen Wodka herunterkippt, als wäre der Schnaps ein Allheilmittel.

DAS THEATER:
Das Theater Dortmund wurde 1904 gegründet und umfasst an verschiedenen Spielstätten die Bereiche Schauspiel, Oper, Ballett, Philharmonie sowie Kinder- und Jugendtheater. Darüber hinaus ist auch die Akademie für Theater und Digitalität Teil des Verbunds. Foto: Theater Dortmund

Umso enthusiastischer torkelt Ástrow wenig später in die Szenerie, in der bereits Keyboard und E-Gitarre warten. Die beschwipste Karaoke-Einlage von 4 Non Blondes Pop-Gassenhauer „What’s Up“, die er mit den anderen Bühnenakteuren performt, reiht sich in die wenigen Ausbruchversuche aus einer Wiederholung des Immergleichen ein, die sich wie ein existenzielles Mindset in Anton Tschechows „Onkel Wanja“ findet. In jener Gestalt, wie Tschechow die Provinz konturierte: als Sehnsuchts- und Trauerort von geplatzten Lebensentwürfe, von Dauerschleifen, die der Ist-Zustand birgt.

Der britische Regisseur Rikki Henry verschreibt der Tragikomödie daher schrille bis scheppernde Momente, in denen sich die Protagonist:innen von ihrem Ennui kurze Erleichterungen zu verschaffen scheinen, etwa wenn sie zu Nirvanas Song „Smells like Teen Spirit“ mitzappeln. Konturen der Gegenwart lassen sich in dieser Inszenierung vor allem am Büro-Interieur ablesen, in dem Ekkehard Freyes Wojnízkij, genannt „Onkel Wanja“, bereits gestresst hin und her marschiert, bevor das Publikum überhaupt die Sitzplätzte eingenommen hat.

Zugleich orientiert sich Henry stark an der Vorlage, zumindest was die Handlung betrifft: So erscheint alsbald Onkel Wanjas Schwager, der Kunst-Professor Serebrjaków mit seiner Entourage am Gut, das Wanja von seiner Schwester erbte und gemeinsam mit seiner Nichte Sonja (Nika Mišković) verwaltet. Womit sie zugleich die Karriere und das Stadtleben des Schwagers finanzieren, den Linus Ebner als glatten Intellektuellen gibt, der ständig Schmerzen bekundet und nervös mit seiner Pillenschachtel raschelt. Mittlerweile langweilt der Kunst-Professor jedoch nicht nur seine Frau Jeléna (Sarah Quarshie). Spätestens seine Ankündigungen, das Gut verkaufen zu wollen, sorgt für Turbulenzen unter den Anwesenden. Wanja zückt eine Pistole. Sein Amoklauf versinkt irgendwo zwischen Tragik und Komik, womit Henry ein Markenzeichen Tschechows umsetzt.

„Onkel Wanja“, Foto: Birgit Hupfeld

Was diese finale Eskalation nicht durchbricht, das sind die Rastlosigkeit und Unruhe. Dabei steht die Uhr im Office still. Der Zeiger zeigt genau zwanzig nach zwölf an, obwohl die Figuren etwas anderes ablesen. Ein rasender Stillstand beherrscht das Dasein dieser Tschechow-Figuren, mitsamt einem Bornout-Wanja, der den Wiederholungszwang verkörpert, indem er zwischen Papierbergen und Aktenordnern hechelt. Arbeit und Erschöpfung beschert ihm Tschechows Landleben. Dabei wartet Wanja auf das Glück.

Onkel Wanja | R: Rikki Henry | 20.5., 19.30 Uhr | Theater Dortmund | 0231 502 72 22

Autor:

Benjamin Trilling

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