Oh Licht der Aufklärung, du Fackel der Vernunft im Kampf gegen die Ungerechtigkeit, Lobpreisung der Naturwissenschaft und natürlich: Freiheit! Gleichheit! Brüderlichkeit! Da stehen sie, diese Worte und strotzen vor Weisheit. Demokratische Werte, die unsere Zeit, unser Europa, von den Finsternissen mittelalterlicher Grausamkeiten trennen. Von Ständegesellschaft und Ausbeutung, von absolutistischen Herrschaftssystemen, von der Willkür religiöser Gräueltaten, von den Kriegen und Dunkelheiten einer unaufgeklärten Welt – Gott sei Dank haben wir das alles hinter uns gelassen.
Brüder zu haben, oh meine Droogies, das ist ja auch wirklich eine feine Sache. Mit Brüdern kann man so tolle Sachen machen. Sich lieben, sich hassen. Sich streiten und versöhnen. Wenn man einen großen Bruder hat, dann kann der sogar gleich auch noch alle anderen verprügeln, bevor die einem wehtun. Das dachte sich vielleicht auch Demokrator Erdogan, als er sein Händchen jüngst vertrauensvoll in Wladimir Putins muskulöser Pranke verschwinden ließ, während dessen Lippen von einem zarten „Europa-deine-Zukunft“- Lächeln umspielt wurden. Fürs Familienfoto hätte da eigentlich nur noch der kleine Trump gefehlt. Der hätte schön in der Ecke spielen und mit dem Atomkoffer der Mutti und dem Obama eins über die Rübe braten können, weil die ja den IS gegründet haben – inzwischen weiß er das – und im Kampf gegen den Terror ist schließlich jedes Mittel erlaubt. Brüderlichkeit? Ein ambivalenter Begriff, findet auch Johan Simons, Intendant der Ruhrtriennale 2016, und fragt: „Wer umschlingt, umarmt, erdrückt hier eigentlich wen?“.
Doch insgesamt eher ein düsteres Szenario. Schade. Da war man doch mal so schön auf Beethovens Schwingen ins Elysium einer goldenen Brüderlichkeit gesegelt, um dort auf ewig mit den Heiligtümern der himmlischen Töchter rumzuspielen. Gut, nachdem der Robbie in Frankreich damals alle Bösen geköpft hatte, da war auch mehr Platz im Elysium. Jetzt weiß man ja nicht mal mehr, wer die Bösen sind. Albus Potter in Slytherin, best friend mit Scorpius Malfoy, Erdogan köpft vielleicht auch bald wieder und darf dann aber deswegen nicht mehr ins Elysium, äh, Europa. Da soll man noch wissen, wo's langgeht.
„Compassion is the courage to descend into the reality of human experience“, sprach neulich Paul Gilbert in einer Doku zum Thema „Stimmen hören“. Und meint damit nicht jenes sozial erwünschte Mitgefühl, jene substanzlose, karmafreundliche Brüderlichkeit, die den Gutmensch vom guten Menschen unterscheidet. Sondern vielmehr die selbstkritische Abkehr von überholten Wahrheiten, das Eintauchen in die eigenen Dunkelheiten und die der anderen. Dialoge, mit denen sich gemeinsam die alten Werte mit neuer Substanz füllen lassen, denn – und das ist jetzt doch wieder Lessing: Aufklärung ist „die ständige kritische Anfechtung des von ihr selbst Hervorgebrachten“.
Atompilze backen ist natürlich einfacher. Und hell wird's dann auch wieder.
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