„Wir leben in dystopischen Zeiten“

Vesela Stanoeva, Foto: Christian Bröer

„Wir leben in dystopischen Zeiten“

„Willkommen im Paradies“ im NRW-Forum Düsseldorf

Über 1.200 Quadratmeter Fläche erstreckt sich der Medienkunst-Parcour, den Kuratorin und Künstlerin Vesela Stanoeva für das NRW-Forum konzipiert hat. Wir sprachen mit ihr über die ausgestellten multisensorischen Installationen, die den Besuchern einen Eindruck vom Post-Anthropozän ermöglichen sollen.

engels: Frau Stanoeva, „Willkommen im Paradies“, ist das mehr Utopie oder ein wenig dystopisch?

Vesela Stanoeva: Inhaltlich beschäftigt sich die Ausstellung „Willkommen im Paradies“ mit den Themen unserer Gegenwart. Wir leben in besonderen dystopischen Zeiten: Hierzu zählen der katastrophale Klimawandel – dessen verheerendes Ausmaß immer deutlicher wird, siehe die Feuer in der Türkei oder auch Griechenland – die länder- und kontinentalübergreifende Ausbreitungen von Krankheiten, der bedrohliche Verlust der biologischen Vielfalt und der extreme Artenrückgang, der erstarkende Populismus sowie der Rechtsterrorismus. Auf der anderen Seite entsteht gerade ein neues Narrativ: Eine Technologie, die quasi religiös zum Heilsbringer erklärt wird, ein Versprechen auf eine bessere Welt, ein Glaube an künstliche Intelligenzen, an die Unsterblichkeit im digitalen Raum und ein virtuelles Paradies.

Zur Person:
Vesela Stanoeva
 hat 2013 ihr Bachelorstudium in Interior Design an der New Bulgarian University abgeschlossen, im Anschluss zwei Semester an der Design Academy Eindhoven studiert und 2019 ihre Masterarbeit in Szenografie zu dem Thema „Do Not Panic. Merging Virtual & Physical Spaces“ an der Fachhochschule Dortmund erfolgreich beendet. Derzeit promoviert sie dort und an der Bergischen Universität Wuppertal zu dem Thema „Hybrid Scenography. Intervention, Immersion, Illusion“. Darüber hinaus lehrt sie als Gastdozentin an der Fachhochschule Dortmund im Studiengang Photographic Studies. Foto: Christian Bröer

Wodurch unterscheiden sich die 25 Positionen in der Ausstellung?

Die Werke sind sehr unterschiedlich. Zum Beispiel zeigt VOID (Woodlands, 2016 – d. Red.) von Barbara Herold & Florian Huth eine komplett computergenerierte Landschaft, aus der alle Spuren der Zivilisation und Individuen eliminiert wurden. Auf diese Weise rücktder Fokus auf die Umgebung, die natürliche Szenerie.In Form solch hyperrealistischer Ästhetik wird eine Idylle im utopischen Raum suggeriert. Die Arbeit „Realness – Intimate Garden“ (2019) der französischen Künstlerin Sandrine Deumierhingegen ist als Virtual Reality bzw. 360 Grad-Animation und Projektion zu sehen. In dieser virtuellen Umgebung gibt es amorphe, anonyme Humanoide, die in einer organischen Symbiose mit ihrer natürlichen Umgebung leben. Wir haben hier sozusagen eine Mischung von Mensch und Umgebung – das Ganze ist ineinander mutiert.

Und die RaumZeitPiraten aus Mülheim an der Ruhr?

Die Arbeit der Raum Zeit Piraten ist eine Licht-Installation, die genuin für diese Ausstellung entworfen und kreiert wurde. Es ist eine Art „Licht-Raum-Skulptur“ und ich bin sehr gespannt darauf, das zu erleben.

Wir erklärungsbedürftig sind die Arbeiten für Besucher?

Das ist eine gute Frage. Wir sind etwas davonweggegangen, das Konzept jeder Arbeit zu zeigen. Mit einem Smartphone, über einen QR Code, können die Besucher die Konzepte lesen – aber wir haben versucht, die Ausstellung so zu konzipieren, dass sie als eine Art transmedialer Medienkunst-Parcours zu verstehen ist. Wir wollten möglichst wenig mit Text arbeiten und möglichst viel mit dem Erlebnis an sich. So hoffen wir, dass wir durch Storytelling und Emotionalisierung, also durch das Ansprechen vieler Sinne, auch die Kognition erreichen und die Message weitergeben können. Die einzelnen Besucher können die Ausstellung durch ihre eigenen Körper und Sinneswahrnehmungen lesen, so wird sie auch zu einer persönlichen Erfahrung.

Diese angekündigte „multisensorische Erfahrung“, macht die der Mensch nicht permanent? Was ist so besonders daran?

Als Menschen werden wir die ganze Zeit mit Reizen bombardiert, das stimmt. Das Besondere ist, dass in der Ausstellung die Reize von uns auf der Grundlage des kuratorischen Konzepts gestaltet wurden. Ich bin selbst Szenografin und arbeite viel mit der Wahrnehmung und der Gestaltung eines Raumes. Unser Ziel ist es, Storytelling durch unterschiedliche Arten von Immersion zu schaffen. So gibt es zum einen die Form der Immersion, die als Landschaft betrachtet wird. Diese beschäftigt sich mit den Entstehungsprozessen von Körper und Umgebung. Zum Beispiel bleiben wir der Ästhetik eines White Cubes fern und erschaffen damit ein Kunsterlebnis im eigentlichen Sinne des Erlebens. Wir verschmelzen die Ausstellungsszenografie und Werke miteinander. Zum anderem gibt es auch immersive Installationen, wie die Installation „Between the Clouds“ (2021) des Duos Studio Swine, das sich atmosphärisch mit dem Thema der Ausstellung beschäftigt und Nebel und Licht als szenografisches Erfahrungsmedium nutzt. Die Ausstellung wird außerdem auditiv begleitet von einer Klanginstallation von Christian Bröer, welche im Südflügel und im Nordflügel zu finden ist. Außerdem gibt es ein Duftkonzept von Scent communication. Die Ausstellung arbeitet also mit Haptik, Klang, Duft und visuellen Reizen sowie einer Narration, die immersiv und auch labyrinthisch angelegt ist. Alle Teilnehmer werden ihren eigenen Weg zum Paradies gehen müssen. Dabei gibt es mehrere Wege und keine lineare Erzählung.

Kann sich das behauptete Post-Anthropozän nur noch mit Elektrizität manifestieren?

Wenn wir keine Elektrizität mehr haben, dann sind wir wirklich doomed. Dann ist die Apokalypse für unsere Gesellschaft gekommen. Wir sind sehr abhängig von allem, was mit Internet zu tun hat. Ich glaube, dass sich unser Leben sehr verändern wird. Diese Frage nach der Elektrizität trägt zum Post-Anthropozän bei und steuert darauf zu. Für alle VR-Künstler ist Elektrizität sehr wichtig, jedes Rendering eines Werkes bedeutet extrem viel Energieverbrauch. Es sollte uns als digitalen Künstlern bewusst sein, welche Verantwortung das mit sich bringt.

Menschen erschaffen sich digitale Räume für Träume und Utopien. Ist das wieder nur etwas für die Reichen auf dem Planeten?

Das ist durchaus kritisch zu hinterfragen. Wer Zugang zu den neuen Technologien hat, hat die Möglichkeit, neue Welten zu kreieren. Das ist ein geschlossener Kreis, der sehr schwer zu durchbrechen ist. Es ist enorm wichtig, Zugang zu Technologien für alle zuschaffen und eine diverse Zukunft zu ermöglichen.

Willkommen im Paradies | 27.8. – 9.1.22 | NRW-Forum Düsseldorf | 0211 56 64 27 49

INTERVIEW:

PETER ORTMANN

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