„Über Generationen immer weitergegeben“
Autor Christoph Biermann über die identitätsstiftende Bedeutung von Schalke
trailer: Herr Biermann, ist Schalke 04 noch zu retten?
Christoph Biermann: Obwohl ich nun wirklich kein Fan des Vereins bin, mache ich mir Sorgen um Schalke. Ich sehe sie aktuell in einen Abstiegskampf rutschen.
Warum ist es für eine Stadt wie Gelsenkirchen dramatisch, wenn so ein Verein sportlich und finanziell wankt?
Schalke ist einerseits natürlich direkt und indirekt ein wichtiger Arbeitgeber dort. Darüber hinaus ist Schalke natürlich der Leuchtturm von Gelsenkirchen. Darüber wird die Stadt draußen in der Welt wahrgenommen. Die Leute sind stolz, dass trotz der schwierigen Bedingungen ein bedeutender Verein in der Stadt ist. Wenn dieser aber umgekehrt in eine Krise gerät, schlägt das auf die Stimmung.

Zur Person:
Christoph Biermann (*1960 in Krefeld) ist Sportjournalist und Buchautor (z.B. „Wenn wir vom Fußball träumen“). Er wuchs in Herne auf und studierte an der Ruhr-Universität Geschichte und Germanistik. 15 Jahre lang besuchte er jedes Heimspiel des VfL Bochum. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Wir werden ewig leben – Mein unglaubliches Jahr mit dem 1. FC Union Berlin“. Foto: © Pablo Castagnola
Gleichzeitig sind Vereine wie Schalke 04 oder der BVB Konzerne, die Millionensummen umsetzen. Wie kann sich ein „Malocher“ mit solchen Projekten identifizieren?
Jeder weiß, dass es Berufsfußball ist und dass dort viel Geld drinsteckt. Für die meisten Anhänger wird es dann ein Problem, wenn es um viel Geld geht, ohne zu funktionieren. Wenn Geld verzockt wird, weil wie im Fall von Schalke eine Wette auf die Zukunft verlorengeht.
„In keiner Region Deutschlands wird der Fußball so geliebt wie im Ruhrgebiet“
Andere Vereine wie RW Oberhausen erscheinen weit abgehängt. Ist es realistisch, dass sie wieder Teams ins Rennen schicken, die mit den Großen konkurrieren können?
Ich bin ja Fan des VfL Bochum, der jahrelang in der Bundesliga gespielt hat und jetzt leider in der mittlerweile elften Saison in der zweiten Liga feststeckt. In dieser Zeit ist der Abstand zum Oberhaus natürlich riesengroß geworden. Trotzdem ist es für Vereine wie den VfL, den MSV Duisburg oder eigentlich auch Rot-Weiss Essen möglich, wieder nach oben zu kommen und sich zu etablieren. Schließlich wohnen ja im Ruhrgebiet fünf Millionen Menschen. Das Zuschauerpotential ist also da. In keiner Region Deutschlands wird der Fußball so geliebt wie im Ruhrgebiet.
Woher kommt die Faszination für den Fußball im Ruhrgebiet?
Die ist natürlich historisch begründet. Der Fußball war lange Zeit direkt mit dem Leben der Menschen verbunden. In der Ära von Kohle und Stahl, zumindest bis in die 1950er Jahre, schauten die Leute teilweise ihren Kollegen noch beim Kicken zu. Man hatte also das Gefühl einer direkten und nicht nur gedachten Verbindung zu den Spielern, die da auf dem Platz stehen. Historisch geht auch Schalke aus dieser Situation hervor. Da steckt also etwas drin, das über Generationen immer weitergegeben wurde. Es gab auch früher nicht viel anderes. Das Ruhrgebiet, in dem ich aufgewachsen bin, hatte noch nicht viele Ablenkungen. Das, was heute als „weiche Kultur“ gilt, das gab es ja bis in die 1980er Jahre kaum. Da war es dann der Fußball, wo man hingehen und seinen Spaß haben konnte.
„Es reicht natürlich nicht, nur eine tolle Vergangenheit zu beschwören“
Diese Bergbauära ist vorbei. Wie kann die Vergangenheit in den Clubs weiterleben, obwohl die Gegenwart für Vereine wie Rot-Weiss Essen trostlos aussieht?
Man zieht aus diesen Erzählungen der Vergangenheit Kraft. Das hat natürlich etwas Nostalgisches: Man erinnert sich an eine Vergangenheit, die besser ist als die Gegenwart und vielleicht auch als die Zukunft. Das stiftet auch ein Identitätsgefühl. Diese Erinnerung an Kohle und Stahl hat natürlich zugleich etwas Folkloristisches. Das ist aber wichtig, da es den Leuten zeigt, wo man herkommt und welcher Geschichte man entstammt.
Ist der Fußball vielleicht ein Symbol für eine Vergangenheit, die den Weg in eine Zukunft im Ruhrgebiet blockiert?
Es reicht natürlich nicht, nur eine tolle Vergangenheit zu beschwören. Zumal die Arbeit, die die Leute damals machten, natürlich gefährlich und lebensverkürzend war. Auch die Umwelt ist ruiniert worden. Das ist keine heile, sondern eine dunkle und raue Welt gewesen. Es ist also auch gut, dass das Ruhrgebiet diese Zeit hinter sich gelassen hat. Es geht aber darum, aus diesen Mythen und Geschichten über Zusammenhalt etwas zu entwickeln, das ins Morgen geht und nicht ins Museum kommt. Es bringt nichts, andächtig wie vor einer Kirche das Gestern zu beschwören.
Für manche Vereine ist die Zukunft jedoch gefährdet, seitdem die Corona-Krise Geisterspiele notwendig macht.
Zuschauereinnahmen machen bei den Vereinen circa ein Drittel aus. Wenn eine ganze Saison ohne oder nur eingeschränkt mit Fans stattfinden kann, wird es eine finanzielle Deckungslücke geben. Der finanzielle Druck auf die Vereine ist natürlich groß. Eines muss man sich aber klarmachen: Fußballvereine sind unkaputtbar. Große Vereine können so lange nicht verschwinden, wie es genug Menschen gibt, deren Herz an ihnen hängt.
INTERVIEW:
BENJAMIN TRILLING