Trügerischer Fortschritt
Pränataltests suggerieren eine Sicherheit, die es nicht gibt – choices-THEMA 03/17 FREMDKÖRPER
Es spricht viel dafür, dass Mutterbluttests in der Pränataldiagnostik bald zur Kassenleistung werden. Doch weder Parlamente noch Bioethiker oder Demonstranten können auf die Kasseneinführung des Tests Einfluss nehmen. Es handelt sich eher um einen formalen Verwaltungsakt, mit dem die weitreichende Entscheidung getroffen wird. Ein eher verschwiegenes Gremium, der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (G-BA), bestimmt darüber, welche medizinischen Leistungen gesetzliche Krankenkassen bezahlen müssen. Aber bereits bisher haben Krankenkassen in Einzelfällen die Kosten von rund 600 Euro übernommen.
Vorurteile und Berührungsängste erschweren den Umgang mit behinderten Menschen. Wie können wir konstruktiv Inklusion gestalten und leben, welche Hürden müssen gedanklich und praktisch überwunden werden?
Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass nicht der Geldbeutel darüber entscheidet, ob eine Frau sich die Untersuchung leisten kann oder nicht. Die Frage im Falle der Bluttests ist aber: Sind diese wirklich eine medizinische Leistung? Interessant ist, dass die wenigsten vorgeburtlichen Untersuchungen medizinische Ziele verfolgen. Wie etwa den Gesundheitszustand der Schwangeren, den Sitz der Plazenta oder die Lage des Fötus zu kontrollieren. Oder die Suche nach körperlichen Merkmalen, deren Erkennung wichtig für eine möglichst stressfreie Geburt und eventuell nötige medizinische Eingriffe ist.
Aber was genau passiert bei einem Bluttest bei einer Schwangeren? Wonach wird genau gesucht? Die Bluttests, über die der G-BA bestimmen wird, widmen sich ganz klar dem Aufspüren von Behinderungen und Abweichungen von einer gedachten und festgelegten Norm. Nachweisbar sind Trisomie 21 (Down-Syndrom), Trisomie 13 (Pätau-Syndrom) oder Trisomie 18 (Edwards-Syndrom), sowie Abweichungen bei der Zahl der Geschlechtschromosomen. Und das ist erst der Anfang. Wissenschaftler sind überzeugt, dass sich das diagnostische Feld in Zukunft noch wesentlich erweitern wird. Auch genetische Veranlagungen für eine Krebserkrankung halten Wissenschaftler in Zukunft für durchaus vorhersagefähig. Jede Abweichung – oder, nennen wir das Kind beim Namen: jeder Fehler – wird in Zukunft über Leben oder Tod entscheiden können.
Der katholische Moraltheologe Franz-Josef Bormann ist sich sicher, dass der von der Firma LifeCodexx angebotene Praenatest weder für die Schwangere noch für das werdende Kind einen medizinischen Nutzen hat. „Der Pränatest ist von seiner Zielsetzung darauf aus, Individuen mit einer ganz bestimmten genetischen Veränderung zu identifizieren, um sie möglichst dann zu eliminieren. Deswegen ist dieser Test nicht irgendwie ein moralisch neutrales Instrument, sondern er ist eine Innovation, die außerordentlich negative Konsequenzen zeitigt“, sagte Bormann kürzlich im Deutschlandfunk. Er verwies weiter darauf, dass wenn Eltern wüssten, dass ihr Kind Träger dieser genetischen Aberration ist, in mehr als neun von zehn Fällen ein Abbruch der Schwangerschaft erfolge. „Deshalb hat sich in der medizinethischen Literatur der Begriff des so genannten Down-Huntings entwickelt, also eine Art Rasterfahndung, eine Jagd auf Individuen, die das Down-Syndrom tragen.“
Gewiss ist aber auch, dass der Bluttest einen gewaltigen Fortschritt in der Diagnostik darstellt. Die Option einer einfachen, frühen Untersuchung – Fruchtwasseruntersuchungen sind erst ab der 15. Schwangerschaftswoche möglich, der Praenatest aber schon ab der neunten Woche – könnte die Zahl der Spätabtreibungen vermindern helfen; und die sind für die Eltern oft ein äußerst traumatisches Erlebnis. Auch Fehlgeburten kann der neue Test verhindern, denn die bisherige Fruchtwasseruntersuchung führt in einem von hundert Fällen zum Abort.
Dennoch, die Befürchtungen von Behindertenverbänden und Kirchen sind nicht von der Hand zu weisen. Sie gehen davon aus, dass künftig wegen des Pränataltests mehr Kinder mit Down-Syndrom abgetrieben würden. Dabei handelt es sich um menschliche Individuen, die heute eine sehr lange Lebenserwartung haben und die eine sehr hohe subjektive Lebenszufriedenheit entwickeln können. „Wenn wir schon bei solchen Behinderungen wie Trisomie 21 keine andere Lösung finden, als die Träger dieser Anlage umzubringen, dann halte ich das doch für eine moralisch außerordentlich gefährliche Entwicklung, da es ja noch eine ganze Reihe anderer, schwerwiegenderer Krankheitsbilder gibt, mit denen wir ja auch irgendwie fertig werden müssen“, sagt Bormann. Die Frage ist, was wiegt schwerer: Das Selbstbestimmungsrecht der werdenden Eltern oder das Lebensrecht des Kindes?
Was die Tests aber nicht geben können, das ist die Sicherheit, die sie suggerieren. Es wird auch weiterhin Menschen mit Behinderungen geben, denn nur jede zehnte Behinderung geht auf einen genetischen Fehler zurück. Und eines der größten Risiken wird die Geburt selbst bleiben, bei der es immer zu Komplikationen kommen kann.
Autor
BERNHARD KREBS