Tanz der Dachlatten

„Der Sturm“ Foto: Thilo Beu

Tanz der Dachlatten

Shakespeares „Der Sturm“ am Theater Bonn

Kaum hat sich die Untermaschinerie der Bühne in konvulsivischen Zuckungen gebärdet, senken sich zarte Lattenbündel aus dem Schnürboden herab und vollführen einen Tanz. Balance ist nirgends. Der Sturm am Beginn von Shakespeares letzten Drama hat allerdings nichts von tobendem Hurrikan – die Truppe um Königin Alonso (Ursula Grossenbacher) betritt ziemlich wohlbehalten das Reich von Prospero (Birte Schrein). Regisseur Gavin Quinn hat die beiden rechtmäßigen Herrschergestalten samt Ratgeber weiblich besetzt, was den Blick auf Macht und Herrschaft verändern könnte. Tut es aber nicht. Nahezu alle Figuren dieses Abends umweht eine merkwürdige Aura des Verlorenen. Während sonst Prospero als Strippenzieher des Geschehens erscheint, hängen hier alle an den Schnüren der Publikumsimagination.

Die mailändisch-neapolitanische Hofgesellschaft stolziert in edlen Kostümen umher, Antonio und Sebastian zoten herum, RatgeberIn Gonzalo steuert ihre Staatsutopie bei, während die Königin irgendwie völlig neben sich steht. Mirandas (Lydia Sträubli) Geburtstag ist an Trostlosigkeit kaum zu überbieten. Während sie mit Cyberbrille in die Welt schaut, hockt Mama Prospero am Tisch und ergeht sich in Erinnerungen. In der Wolldecke erinnert sie an den Künstler Joseph Beuys. Während Ariel (Laura Sundermann) mit riesigen schwarzen Flügeln unterwürfig ihre Aufträge ausführt, schaufelt das trotzige entenbeschnabelte Faktotum Caliban (Alois Reinhardt) Plastikmüll aus dem Meer. Gavin Quinn schichtet kaleidoskopisch die Bedeutungsebenen übereinander, ohne sie logisch zu verzahnen: Künstlertum, Umweltverschmutzung, Macht und Geschlecht sowie Mythologie. Kolonialismus, Tourismus und Konsum werden angesprochen, wenn Trinculo und Stephano als wildgewordene Urlauber eine Prada-Boutique plündern und mit Caliban den Umsturz planen. Und mitten in dieser Bühnen-Installation hockt Prospero mit dem maskenhaft weißen Gesicht als ein in seiner Allmacht erfrorener Narziss, der am Ende die Zuschauer um Erlösung bittet. Ein seltsamer Abend!

„Der Sturm“ | R: Gavin Quinn | Mo 13., Di 21.4. 19.30 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08

Autor

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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