Schmerz ist nie ein Freund

Langsam drehen die Zombies durch, Foto: Uwe Schinkel

Schmerz ist nie ein Freund

„Ex. Mögen die Mitspieler platzen“ am Theater am Engelsgarten

Es war eine schlimme Zeit in Südamerika. Diktatoren, Milizen, Guerillakämpfer, das Leiden war universell und die Baumeister der Kriege haben immer ihre kämpfenden Gegenspieler, die am siegreichen Ende wieder zu Baumeistern werden. Leidtragende sind die Familien, deren Söhne und Töchter auf beiden Seiten krepieren. Der Uruguayer Gabriel Calderón weiß, wovon er in seinem Stück „Ex. Mögen die Mitspieler platzen“ spricht, das am Wuppertaler Engelsgarten-Theater gezeigt wird.

Im Mittelpunkt des Stückes steht Ana (Julia Meier), die verzweifelt nach Antworten über ihre Familie sucht und überall auf eine Mauer des Schweigens stößt. Calderón hat die Geschichte nicht linear, sondern als schnittigen Mix aus Echtzeit und Rückblenden vergangener Anekdoten aufgebaut, final erreicht das Stück den Höhepunkt mithilfe einer Zeitmaschine. Das 90-minütige Zeitenkarussell (Drehbühne versteht sich) ums hartnäckig verschwiegene Familiengeheimnis hat Jenke Nordalm großartig flippig in Szene gesetzt, Türen an Bühnenwänden wechseln in Innen und Außen, in Vergangenheit und Gegenwart. Die harten Fakten laufen so beiläufig am Publikum vorbei, das kaum Zeit hat, das Gehörte zu reflektieren und einzuordnen, da wird auch schon wieder ins Gestrige gelooped. Aber die Spannung hält sich bravourös, was auch am famosen Ensemble liegt, das irgendwann erkennen muss, dass die Hälfte von ihnen eigentlich Zombies sind.

Ursache dafür ist Anas Freund Tadeo (Kevin Wilke), Physiker und Erfinder einer Zeitmaschine aus Liebe, denn die scheint nur auf fruchtbaren Boden zu fallen, wenn er Ana hilft, Antworten zu finden. Und so holt er die Protagonisten des Krieges aus dem Jenseits zurück, damit Ana diese am Weihnachtsabend befragen kann. Jenke Nordalm macht es den Zuschauern leicht, das leise Grauen über Folter, Schmerz und Verrat an der eigenen Familie zu übersehen, Anas Mutter Graciela (Silvia Muncòn Lopez) pflegt als wandelnder Tod eine derbe Sprache, Antonio (Stefan Walz), ihr Großvater, verliert langsam den Verstand. Und dann tauchen da noch die beiden toten Widerstandskämpfer-Onkel (Konstantin Rickert und Alexander Peiler) zum Weihnachtsessen auf, während sich Anas Großmutter Julia (Julia Yánez Schmidt) sinnlos betrinkt.

In diesem Chaos fliegen die Satzfetzen umher, dass einem das Puzzeln vergeht. Langsam schält sich trotz gewaltiger Slapstick-Zombie-Einlagen ein halber Kern heraus, die Frage, wie man sich im Falle einer Diktatur zu verhalten hat. Widerstand oder Ducken, das ist eine Frage, wie sie heute zeitgenössischer kaum sein könnte, angesichts Putins blutigem Privatkrieg gegen ein unschuldiges Volk. Auch wenn die Diktatoren auf dem Planeten alle krepieren müssen, im Stück scheint der Großvater sich fürs Ducken entschieden zu haben, was Anas Onkel mit dem Leben bezahlen mussten. Doch die Erinnerung scheint wie ein Stein, der zu Sand zerfallen ist. Ein skurriles Ende im Timetunnel hat die Geschichte auch, Ana bleibt allein zurück. Vielleicht war das qualvolle Bohren nach der Vergangenheit…? Quatsch. Nur wer seine Vergangenheit kennt, kann auf eine Zukunft hoffen. Das hat die Inszenierung auf jeden Fall bewiesen. Nicht verpassen!

Ex. Mögen die Mitspieler platzen | Sa 28.5. 19.30 Uhr | Theater am Engelsgarten | 0202 563 76 66

Autor

Peter Ortmann

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