Rund um den Körper
Sommerblut Festival 2018 bietet vielfältiges Programm
Festivalleiter Rolf Emmerich beginnt mit einer Anekdote: „Als Ministrant kam ich in Jeans und buntem T-Shirt zur Messe, worauf ein 90-jähriger Mönch sagte: ‚Das brauchst Du nicht. Deine Schönheit kommt von innen. Könntest Du sie sehen, würdest Du vor Dir niederknien.‘“ Damit ist das Motto des diesjährigen 17. Sommerblut-Festivals bereits angerissen: Es geht um den Körper, seine Wahrnehmung, Veränderung, Unversehrtheit, den heutigen Druck zur Optimierung und Selbstinszenierung. All diese Themen werden in Theaterstücken, Texten, Ausstellungen, Tänzen, Konzerten und Performances aufbereitet und ausgelotet. Insgesamt 32 Produktionen an 22 Orten gibt es von 5. bis 21. Mai zu bestaunen.
Der theatrale Rundgang „Drugland“ am Neumarkt greift ein heikles Thema auf: Der Konflikt zwischen Drogenabhängigen auf der einen, Anwohnern und Geschäftsinhabern auf der anderen Seite. Regisseur Stefan Herrmann erklärt: „Es geht darum, nah an den Menschen zu sein. Wir haben Interviews mit Anwohnern, Polizei, Streetworkern, Geschäftsinhabern und Süchtigen geführt. An der Performance sind auch Drogenabhängige als Expertenschauspieler beteiligt, denn sie sind Teil der Lösung“. Eine von ihnen ist Hanna, die 25 Jahre lang Heroinsüchtig war: „Es ist für mich schwer, nicht in diesem Gegensatz ‚süchtig ist schlecht, nichtsüchtig ist gut‘ gefangen zu sein. Mir geht es bei dem Stück um den Abbau von Vorurteilen.“
Jenen eine Stimme zu geben, die sonst nie gehört werden, ist auch das Anliegen der Eigenproduktion „Antikörper“, bei der 20 Inhaftierte der JVA Ossendorf mitspielen. Regisseurin Elisabeth Pleß schildert: „Im Probenprozess werden selbstgeschriebene Texte der Gefangenen inszeniert, in denen es um Fehler, Ängste, Scham und Unsicherheit geht. Die Emotionen werden in Bewegung, Improvisation und Choreografie umgesetzt.“ Als Kostprobe liest eine Inhaftierte berührende Textausschnitte vor. Durch die Haft werden die Insassen stigmatisiert, zum Antikörper der Gesellschaft. Die JVA-Leiterin berichtete, wie gut ein früheres Theaterprojekt den Häftlingen getan hätte.
Gregor Leschig inszeniert „Clash“, bei dem Kölner Künstler gemeinsam mit Migranten das unterschiedliche Körperverständnis der Kulturen ausloten. Die Gruppe hat sich nach dem erfolgreichen Stück „Planet Heimat“ beim Sommerblut 2017 gegründet. „Im arabischen Raum begrüßt man sich anders als bei uns. Älteren wird durch bestimmte Gesten Respekt bezeugt“, erläutert Leschig einige Rechercheergebnisse. „Frauen unterliegen auch in anderen Kulturen dem Schönheitswahn. So spart eine Iranerin für die Nasen-OP ihrer Tochter.“ Ein Iraker, der seit zwei Jahren in Deutschland, seit einem Jahr in der Theatergruppe ist, thematisiert in seinem ergreifenden Gedicht Ausgrenzung und Ablehnung.
Theaterpädagogin Ana González stellt „Let’s meet“ in der Kulturkirche in Nippes vor. Frauen aus verschiedenen Kulturen und Kontexten thematisieren ihr Frau-Sein aus unterschiedlicher Perspektive. „Es geht um die Machtstruktur in unserer ‚emanzipierten‘ Gesellschaft. Bei dem Narrativen Walk interagieren wir mit dem Publikum, tanzen mit ihm, begehren es, verunsichern es“, beschreibt González lebhaft. Rolf Emmerich erinnert sich amüsiert, wie die Regisseurin den Pfarrer überzeugt habe, im Kirchenraum spielen zu dürfen.
„Crotch“ setzt sich mit dem Verhältnis von Körper und Geschlechtsempfinden auseinander. Dieses ist nicht immer mit den biologischen Merkmalen identisch. „Es gibt eine Bandbreite an Identitäten, die theatermäßig dargestellt werden“, erklärt Transgender-Beraterin Sophie Sänger. Bei dem Stück, das Tanz, Theater und Performance vereint, arbeitet die spanische Gruppe Baal mit Kölner Laien zusammen, die ihre eigenen Biografien einbringen.
Regisseur André Erlen und Autor Klaus Fehling zeigen im Stück „No-Go-Area“ Strategien für den Umgang mit unliebsamen Begegnungen. So übt die weibliche Hauptfigur Parcourslaufen, um schnell flüchten zu können. Im Gegensatz dazu will der ‚Iron Man‘ No-Go-Areas friedlich zurückerobern. Schauspieler Jan Dziobek nimmt als Rollstuhlfahrer den öffentlichen Raum nochmals ganz anders wahr. Gespielt wird sinnigerweise am Ebertplatz.
Das Symposium „All in“ dreht sich um inklusive künstlerische Arbeit. „Wie können Behinderte oder Gehörlose Theater erleben“, fragt Projektleiterin Annette Ziegert. Und verweist auf das Projekt „Sharemusic“ im schwedischen Göteborg, bei dem Künstler ohne und mit Behinderung zusammenarbeiten. Auch neue Technologien unterstützen die Diversität.
Zum Abschluss von Sommerblut zieht „Mad Pride“ durch die Stadt, eine Parade von Psychiatrie-Erfahrenen und Autisten. Regine Winkelmann erklärt, welche Herausforderung der soziale Kontakt und sensorische Input für Betroffene darstellt. „Es ist wichtig, dass hier ein geschützter Raum vorhanden ist.“ Moderatorin Kerstin Pöpper verspricht ein „supertolles Fest“ mit mehreren Bands und Musik aus aller Welt.
Sommerblut – Festival der Multipolarkultur | 5. – 21.5. | div. Orte | www.sommerblut.de
Autorin
KATJA SINDEMANN