Ökologisch ausersehen
Die alternativen Wahrheiten der Bio-Szene
So beängstigend die Corona-Krise ist, für eine Gruppe scheint sie Wasser auf die Mühlen zu sein: Anhänger von Verschwörungstheorien. Neben bekannten Zweiflern wie Eva Hermann, Ken Jebsen und Xavier Naidoo mischen neue „Systemkritiker“ mit, die sich berufen fühlen, die Bevölkerung aufzuklären.
Beispiel: Attila Hildmann. Vor einiger Zeit noch für vegane Kochbücher gefeiert, zieht er nun gegen die Corona-Maßnahmen zu Felde. Für ihn ist Corona ein „riesiger Bluff zur Errichtung eines Überwachungsstaates“, seinen Fans empfahl er bewaffneten Widerstand. Videobotschaften beendet er mit dem Spruch „Veritas, Victoria, für das Vaterland“ – denn die Wahrheit kennen nur er und seinesgleichen, der Rest der Bevölkerung bestehe aus „Schlafschafen“. Auch andere Vertreter der Bio-Szene springen auf den Zug auf: Der Inhaber eines Bamberger Naturkostladens hängte einen Zettel mit dem Slogan „Gib Gates keine Chance“ ins Schaufenster, der darauf anspielt, dass der Microsoft-Gründer – Sündenbock für fast alles – die Weltbevölkerung durch Corona auf 500.000 Menschen reduzieren und diese dann mittels Impfung mit Mikrochips versehen wolle. Und Joseph Wilhelm, Gründer der Bio-Marke Rapunzel,schrieb ganz im Sinne der anthroposophischen Lehre, Viren seien „Teil des biologischen Lebens auf unserer Erde“ und leisteten ihren „Beitrag zur Weiterentwicklung“. Indirekt sprach er Corona damit den Effekt einernatürlichen Auslese zu.Dass er von seriöser Berichterstattung nicht viel hält, machte er deutlich. Er habe seit Beginn der Corona-Krise „keine einzige Tagesschau (…) angesehen“. Das tue er aber auch sonst nicht. Damit spricht er wohl für die meisten Anhänger von Verschwörungsideologien.
Selbstabgrenzung der Szene gegen Verschwörungsgläubige
Trifft die Tageszeitung Die Welt also den Punkt, wenn sie titelt: „Veganer und Verschwörungstheoretiker – Zwei Welten, die zusammenpassen“, oder die taz, wenn sie fragt: „Macht Bio wirr?“ Das Portal vegan.eu sah sich genötigt, durch eine Umfrage das Gegenteil zu beweisen: „Veganer weisen (…) eine besondere Ferne zu Verschwörungstheorien (…) auf“ und auch zu rechtsgerichtetem Denken. Das sieht die Journalistin Mira Landwehr, die sich als ehemalige Tierrechtsaktivistin in der Szene auskennt und das Buch „Vier Beine gut, zwei Beine schlecht – Zum Zusammenhang von Tierliebe und Menschenhass in der veganen Tierrechtsbewegung“ geschrieben hat, anders, sie bezeichnete die Umfrage als nicht repräsentativ. Von vegan.eu folgte eine Rechtfertigung. Kritikfähigkeit? Fehlanzeige. Der Sozialpsychologe Roland Imhoff stellt fest, gerade Menschen, die sich als etwas Besonderes sähen, seien anfällig für Verschwörungstheorien. Dieses Attribut kommt einem Teil der Gruppe der Veganer, die ihre „alternative“ Lebensart zur Ersatzreligion (in Abgrenzung zu großen Weltreligionen, die „Feiern und Freude auf der Basis von Tod und Vernichtung“ lehrten, wie vegan.eu schreibt) erhoben haben, definitiv zu. Ihre anthroposophische Weltanschauung tut ein Übriges. Als Impfgegner seien „Anthroposophen besonders anfällig fürVerschwörungstheorien im Zusammenhang mit Corona“, so derReligionsphilosoph Ansgar Martins.
Verständlicherweise bemühen sich andere Teile der veganen Community, sich von Hildmann und Co. abzugrenzen. Es ist zu wünschen, dass dies gelingt. Denn ob nun Allheilmittel oder nicht – der Wechsel hin zu einer zumindest fleischärmeren Ernährung und mehr Tierschutz ist zu unterstützen.
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zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und choices.de/thema
Aktiv im Thema
www.bund.net/massentierhaltung/haltungskennzeichnung/bio-siegel | Der Umweltverband BUND erklärt und bewertet Bio-Siegel.
albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell/warum-vegan | Die Albert-Schweitzer-Stiftung dikutiert Argumente für und gegen Veganismus.
taz.de/Tierrechts-Autorin-ueber-Veganer/!5693507 | taz-Interview mit der Kennerin der Tierrechtsbewegung Mira Landwehr, über bedenkliche politische Tendenzen in Teilen der veganen Szene.
Autorin
Julia Grahn