Wie es so ist, in einer Großstadt wie dem Ruhrgebiet. Man hetzt zum nächsten Termin und torkelt an Lichtinstallationen vorbei, über deren Sinn man rätselt: Ist dieses Ding, was da neonleuchtend blendet, Kunst? Kostet das nicht verdammt viel Strom? Muss das sein? So wie diese leuchtenden Zacken hinter dem Lünener Hbf. Ganz unauffällig steht diese Lichtskulptur da in der Dämmerung und wird ständig von Linienbussen umkreist. Nur schnell husche ich vorbei, um pünktlich am Heinz-Hilpert-Theater zu sein. Dort geht die Bustour los, oder, wie es in der Ankündigung hieß: die Lichtreise „Stadt, Fluss, Kohle“.
Eine von vielen Lichttouren, die an diesem Wochenende angeboten wird. Denn bei der zweiten Nacht der Lichtkunst steht im östlichen Ruhrgebiet alles im Zeichen der Neonröhren und Glühbirnen. Von Ahlen nach Hamm, oder von Unna nach Fröndenberg können die verschiedenen Lichtkunstwerke, Lichtlandmarken oder bunt erstrahlende Industriedenkmäler bestaunt werden. Insgesamt 43 Lichtkunstwerke sind es, die das Städte-Netzwerk Hellweg entlang des sogenannten Lichtwegs präsentiert. Diese lassen sich auf eigene Faust abklappern oder per Bustour mit fachkundiger Begleitung besichtigen.
Ich entscheide mich für die Lichtreise über Bergkamen nach Bönen. Wenige Minuten nach der Abfahrt geht es wieder raus. Denn die Tour beinhaltet auch die Besichtigung der Lünener Lichtkunst. Und dann stehe ich wieder vor diesen Zacken, an denen ich wenige Minuten zuvor vorbei geeilt bin. Mittlerweile ist es dunkel und das Neonlicht schimmert kräftig. „Es ist das Eingangssignal für die Stadtgäste“, erklärt Herbert Hamann, Stadtfüher in Lünen, der die Tour fachkundig begleitet. Offenbar erzählen diese Lichter viel über den Wandel der Stadt.
So wie auch diese Lichtspiralen, die vor dem Lünener Rathaus in schönen blauen Farben aus dem Beton hervorzucken und wieder verschwinden. Hier soll mal eine Art Brunnen gestanden haben, worauf die Lichtspiele verweisen. An das einstige Südtor der Stadt Lünen soll dagegen die Installation Radial erinnern, die sich auf der anderen Straßenseite widerspiegelt: markante blaue Lichtstäbchen, die in den Abendhimmel ragen.
Dann geht es weiter zur Marina Rüthe, ein Yacht-Hafen am Datteln-Hamm-Kanal in Bergkamen. Ein sehr idyllischer Ort, der an diesem kalten Novemberabend als Kulisse für Lichtkunst inszeniert wird: Projektionen auf die winterfest geschnürten Boote, das Spiegeln der beleuchteten Yachten auf der Wasseroberfläche oder die Lichtzeichnungen, die die Künstlerin Nikola Dicke an die Wand der Adam-Kühlerfabrik werfen lässt. Wem es zu kalt wird, sich für eine Bootstour anzustellen, drängt in das warme „Trauzimmer“ des Yachthafens. So wie ich. Denn drinnen gibt es Live-Musik des Duos Mondi di Notte. Die Mischung aus Musik und Lyrik ist eine nette Abwechslung, bevor es mit dem Reisebus weitergeht nach Bönen.
Durch die Busscheiben erhascht man bereits aus der Ferne einen Blick auf die gelben Lichtstäbe am Förderturm der stillgelegten Zeche Königsborn, die „Yello Marker“ des Künstlers Mischa Kuball. „Das ist eine Lichtinstallation, die aus einem Ost- und Westteil besteht“, erklärt Herbert Hamann über das Konzept. Wie sehr die Lichter auch mit der geographischen Lage spielen, verrät spätestens der Ausblick vom Balkonturm. 55 Meter ist das Industriedenkmal hoch. Ich warte also auf den Aufzug. Und es lohnt sich. Denn von oben erblickt man nicht nur die Hellweg-Region: die kleinen Lichtseen in der abendlichen Landschaft; den Regionalexpress, der wie ein heller Faden durch die dunkle Fläche zischt. Es ist auch die Eingangspforte des Ruhrgebiets, die man hier oben aus der Ferne überblicken kann: Ist das Herne? Oder Castrop-Rauxel? Zu erkennen ist nur eine großstädtische Silhouette aus Licht.
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