Vor der Ausstellung „The Problem of God“ einmal wie Christus fühlen und langsamen Schrittes über einen Abgrund schreiten: Noch bis Ende des Jahres macht der Künstler Tomás Saraceno mit seiner Kletterarbeit „In Orbit“ dies im Düsseldorfer K21 möglich. Dann lässt sich der versierte Besucher gern auf die dreistöckige Ausstellung ein, die die christliche Ikonografie in der Moderne beleuchten will, vielleicht auch um zu zeigen, wie sehr das Christentum und seine Bildtradition in das kollektive Gedächtnis der westlichen Welt eingedrungen ist. 120 Werke von 33 international renommierten Künstlern hat Kuratorin Isabelle Manz zusammengetragen, und die nordrhein-westfälische Landesgalerie folgte damit einer Einladung der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, die so Möglichkeiten sah, die christliche Antwort auf die existentiellen Fragen unserer Zeit wieder ernstnehmen zu können. Geklappt hat das natürlich auf den ersten Blick nicht.
Wie denn auch? „Die Ausstellung handelt weder von sakraler Kunst noch von Religiosität im Allgemeinen“, sagt Initiator Bischof Friedhelm Hofmann. Man wolle einen Blick in die Gesellschaft werfen. Und da passt es sicherlich gut, dass die Ausstellung auch eine kleine Hölle präsentiert, eine Kammer des Schreckens oder der Hades im K21. Also runter, unter der Glocke ohne Schlegel (Kris Martin) durch – und da geht es mit den Großfotos von Boris Mikhailov auch schon los. Viele Motive in „Case History Requiem“ von 1997 lassen an alte Meistergemälde denken, Pietà, Kreuzesabnahme, aber Mikhailov hat eigentlich die Obdachlosen in seiner ukrainischen Heimatstadt Charkow porträtiert. Die existentiellen Fragen unserer Zeit werden sicher hier gestellt, aber sie haben wahrscheinlich nur nachrangig etwas mit christlichem Selbstverständnis zu tun. Gleich nebenan passt dazu ein Passionsfries (Dispersion und Schlämmkreide, 1962) von Hermann Nitsch, das sieht zwar nach Blut aus, ist aber nur Farbe, allerdings war sein blutiges Mysterientheater einst originaler. Das sind die Galgenfiguren und hölzernen Leichen von Paloma Varga Weisz allemal. Die deutsche Bildhauerin schaffte damit eigentlich eine Interpretation des Ausstellungstitels, obwohl die Arbeiten schon ein paar Jahre auf dem Buckel haben. Warum allerdings Robert Rauschenbergs „White Pantings“ (three panels, 1951) hier unten hängen, erschließt sich mir nicht, vielleicht ließ die auch implementierte buddhistische Ikonografie eine höhere Weihe nicht zu. Oder musste er Ad Reinhardts „Black Painting“ (1960-66) mit eingearbeiteter Kreuzstruktur gegenüber ausgleichen. Die Frage ist Anlass, endlich aufzusteigen, um im Himmel etwas näher die Werke zu bewundern, die dies auch geschafft haben. Filme, Videos, Installationen, alles unter der problematischen Frage nach Gott. Da kann man aufatmen bei „Looking for Jesus“ von Katarzyna Kozyra, die Menschen zeigt, die am „Jerusalem-Syndrom“ leiden oder die Orientierung verlieren in James Turrells Raum „Grey Dawn“. Nach fünf Minuten weiß man dann, warum er für einen Magier gehalten wird, der Dinge im Nichts lokalisiert. Oder war das schon wieder Buddha?
„The Problem of God“ | bis 24.1. | K21 Düsseldorf | 0211 838 12 04
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Aus anderer Perspektive
Szenenwechsel der Sammlung im K21 in Düsseldorf – Kunst in NRW 09/23
Aus dem Besitz
Neupräsentation der K21-Sammlung
Kunst aus Worten und Sätzen
Jenny Holzer im K21 in Düsseldorf – Kunst in NRW 04/23
Identitäten auf dem einen Planeten
Fotografischer Blick auf die afrikanische Welt – Kunstwandel 09/22
Richter zu Ehren
Gerhard Richter im K21 und Museum Ludwig – Kunst in NRW 03/22
Der Alltag in Strukturen
Isa Genzken in Düsseldorf – Kunst in NRW 07/21
Die Wirklichkeit virtuell
Simon Denny in K21 in Düsseldorf – Kunst in NRW 10/20
Modernes Leben
Cao Fei in Düsseldorf – Ruhrkunst 11/18
Fremde Bekannte
Das Raqs Media Collective im K21 – Ruhrkunst 07/18
Im Takt
Leunora Salihu im K21 in Düsseldorf – Kunst in NRW 07/17
Verletzte Oberflächen
Alberto Burri in K21 in Düsseldorf – Kunst in NRW 04/16
Grotesk ernst
Annette Messager in K21 in Düsseldorf – Kunst in NRW 11/14
Hin und weg!
„Ferne Länder, ferne Zeiten“ im Essener Museum Folkwang – Ruhrkunst 05/24
Leben in der Wüste
Namibia-Ausstellung im Naturmuseum Dortmund – Ruhrkunst 05/24
Der Reiz von Stahl
Daheim: Utz Brocksieper im Emil Schumacher Museum in Hagen – kunst & gut 05/24
„Sowohl Bio als auch Fastfood“
Nico Anklam über Søren Aagaards Ausstellung bei den Ruhrfestspielen 2024 – Sammlung 05/24
„Die Realitäten haben sich verändert“
Die Kuratorinnen Özlem Arslan und Eva Busch über die Ausstellung zur Kemnade International in Bochum – Sammlung 04/24
Ins Blaue
„Planet Ozean“ im Gasometer Oberhausen – Ruhrkunst 04/24
Utopie und Verwüstung
„The Paradise Machine“ in Dortmund – Ruhrkunst 04/24
Spuren und Ahnungen
Stefan Müller und Viola Relle im Dialog in der Neuen Galerie Gladbeck – kunst & gut 04/24
„Das kann einem einen kalten Schauer bringen“
Direktor Tayfun Belgin über die Gottfried Helnwein-Ausstellung im Osthaus Museum Hagen – Sammlung 04/24
Kultige Cover
Designagentur Hipgnosis in Oberhausen – Ruhrkunst 03/24
Intensive Blicke
Fotografin Annelise Kretschmer im MKK Dortmund – Ruhrkunst 03/24
Keine Illusionen
Wolf D. Harhammer im Museum Folkwang in Essen – kunst & gut 03/24
„KI erlaubt uns einen Einblick in ein kollektives Unbewusstes“
Kuratorin Inke Arns über Niklas Goldbachs „The Paradise Machine“ im Dortmunder HMKV – Sammlung 03/24