Der große Kurt Tucholsky hätte es wohl nicht anders gemacht: Nur wenige Tage, nachdem hunderte Menschen der EU-Abschottungspolitik zum Opfer fielen, verliest der Slammer Michael Schumacher beim MenschenrechtsSlam eine ätzende Satire über die Flüchtlingspolitik. Auf der Bühne des rappelvollen Subrosa heißt er zunächst alle willkommen – „zur neuen Ausgabe von Deutschland sucht den Super-Flüchtling". Vor allem die unkritische Berichterstattung, der zynische Diskurs über die unmenschliche Asylpolitik bekommt sein Fett weg: Zwei Kandidaten, „die es wirklich in sich haben“, werden präsentiert. Die DSDS-Jury ist begeistert von diesen abgehungerten Gestalten – Deutschland hat seinen Kandidaten, wie Bruce aus der Jury begeistert raunt: „Der Walk ist wirklich great“. Angesichts der Aktualität bleibt Einigen in der Nordstadt-Kneipe das Lachen im Hals stecken: Ist das nicht zu grob? Blanker Sarkasmus? Gar Zynismus? Doch zynisch ist nur die Sache, die Schumachers sozialkritische Verse behandeln, die Worte sind wirkliche politische Empörung. Das bekommt man auf hiesigen Slam-Bühnen viel zu selten zu hören! So kann auch die Flüchtlingspolitik nicht anders resümiert werden: „Hier kriegt jeder eine Chance. Denn Deutschland hat eine Willkommenskultur“. Die Frage sei nur, ob man bleiben darf.
„Wenn ich eine Drohne wäre“: Pazifistische Satire von Johannes Opfermann
Dass auch der richtige Umgang mit der Pressefreiheit ein Menschenrecht sein sollte und genau das oft nicht der Fall ist, macht dagegen Björn Rosenbaum in seinem Beitrag deutlich: Ein Journalist ringt zunächst mit sich, wie er denn nun den russischen Präsidenten Putin kritisch bezeichnen soll: „Was statt homophober Despot?“. Die Kompromisse – auch mit den Ideologen in der Redaktion: „Standhafter Macho“, „standhafter Führer“ bringen alle nichts. Am Ende wird der engagierte Schreiber von den Überbau-Aposteln zur Vernunft gebracht: „Wir sollen die Realität nicht abbilden, wir erschaffen die Realität“.
Johannes Opfermann fordert in seinem Text dagegen Maschinenrechte ein. Auch wenn das Leben als Drohne gar nicht so hart ist, wie sein Text zeigt: „Die Frauen und Kinder sterben nur kollateral.“ Und wenn man als Drohne auf all das kein Bock mehr hat? Dann wird eben der Kriegsdienst verweigert und Zivildienst geleistet.
Wer ist hier weltfremd? No Limit empört sich über unpolitische Träumer
Um ein weit verbreitetes Missverständnis dreht sich der Beitrag von No Limit: Sein lyrisches Ich wird als linker Chaot, als weltfremder Träumer bezeichnet. Was No Limit vorträgt, ist ein spannender Dialog, der politisch mutig Stellung bezieht. Denn weltfremd erscheint sein Gegenüber, wenn er philosophiert: „Ich bin ja kein Nazi – aber...das mit diesen Flüchtlingen kann ja nicht weitergehen.“ Der Träumer zählt die Fakten auf: Ausbeutung, Kriege, letztendlich tausende getötete Flüchtlinge. Umso empörter hält sein Träumer dagegen: „Du bist das System, dessen Umsturz ich ersehne.“ Der mutige Vortrag von No Limit wird belohnt. Am Ende gewinnt er den von Amnesty International veranstalteten MenschenrechtSlam.
Ein Abend mit empörten, engagierten, politischen Versen. So kann Poetry Slam gehen. Auch Kurt Tucholsky hätte es wohl so gemacht.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Vorläufige Utopien
Danny Dziuk & Verbündete im Dortmunder Subrosa – Musik 04/24
„Ich komme mir vor wie Kassandra“
Jaana Redflower über ihren Roman „Katharina?“ und das neue Album der Gamma Rats – Interview 04/24
Piraten-Polka
Aargh! im Subrosa Dortmund
Wortgewaltig
Jean-Philippe Kindler in Hattingen
Eindringlicher Soul-Blues
Uncle Remus im Subrosa
Voodoomesse am Hafen
Rockband Hodja am 5.9. im Subrosa in Dortmund – Musik 09/19
„Literatur kann Menschen mobilisieren“
Marock Bierlej über Selfpublishing, den Rausch und Alternativen zum Lesen – Literatur 01/19
Vulgär mit Verstand
Felicitas Friedrich eröffnet am 19.07.2018 die trailer-Wortschatzbühne auf Bochum Total mit geistreichem Poetry Slam
Dates im Sandwich-Toaster
Lesebühne „Wir müssen rEDEN“ am 19.7. im Bochumer Café Eden – Literatur 07/17
Menschen, Leute, Emotionen
Patrick Salmen liest aus „Genauer betrachtet sind Menschen auch nur Leute“ im Bahnhof Langendreer – literatur 05/17
Laute Mädchen
Konzerte zum Träumen, Mitwippen und in die Luft springen – Popkultur in NRW 01/17
Wenn ich groß bin, werde ich Fisch
„Biodiversity Science Slam“ am 12.12. im Bochumer Blue Square – spezial 12/16
Gegen Remigrationspläne
Elfriede Jelineks „Die Schutzbefohlenen – Was danach geschah“ am Schauspielhaus Bochum – Prolog 05/24
Grusel und Skurriles
40. Westwind Festival in Essen – Prolog 05/24
„Brisante politische Inhalte, lustvoll präsentiert“
Leiter Haiko Pfost über das Impulse Theaterfestival 2024 in Köln, Düsseldorf und Mülheim a. d. Ruhr – Interview 05/24
„Eher die Hardcore-Variante von Shaw“
Regisseur Damian Popp über „Pygmalion – My Fairest Lady“ am Schlosstheater Moers – Premiere 05/24
Soll das Werk den Meister loben
49. Mülheimer Theatertage – Prolog 05/24
Der Ring und ein schwarzer Berg
Wagner-Kosmos in Dortmund zu „Mythos und Wahrheit“ – Oper 05/24
Von der Straße ins Theater
„Multiversum“ am Theater Oberhausen – Prolog 04/24
Tödlicher Sturm im Wurmloch
„Adas Raum“ am Theater Dortmund – Prolog 04/24
Die ultimative Rache vor weißer Schleife
„Die Fledermaus“ mit Schauspielstudierenden an den Kammerspielen Bochum – Auftritt 04/24
Mackie im Rap-Gewand
„MC Messer“ am Theater Oberhausen – Tanz an der Ruhr 04/24
„Zu uns gehört das Lernen von den Alten“
Intendant Olaf Kröck über die Ruhrfestspiele 2024 – Premiere 04/24
„Ich mache keine Witze über die Ampel“
Kabarettist Jürgen Becker über sein Programm „Deine Disco – Geschichte in Scheiben“ – Interview 04/24
Verloren im Nebel
Das Duo Paula Rot im Foyer des Theaters Duisburg – Bühne 03/24