Etwa 700 Gäste versammelten sich am 9.10. auf der Essener Welkulturerbe-Zeche Zollverein, um dem geopolitischen Vortrag eines ehemaligen Außenministers zu folgen: Zum Auftakt der zweiten Auflage der aus Köln importierten „Lit.Ruhr“ stellte Joseph – alias Joschka – Fischer dort im Gespräch mit der Journalistin Ferdos Forudastan sein neuestes Werk vor.
In „Der Abstieg des Westens“ (Kiepenheuer & Witsch 2018) versucht sich der Polit-Promi an einer Verortung „Europa(s) in der neuen Weltordnung des 21. Jahrhunderts“. Diese sieht der Autor vor allem vom aufstrebenden China dominiert, dessen Weltmachtanspruch man sich nicht ohne Not unterwerfen dürfe. Rückblickend beschreibt er das ‚chinesische Trauma‘, „die Industrialisierung verschlafen“ zu haben sowie das nachfolgende „Jahrhundert der Demütigung“ durch europäischen Imperialismus. Fischer will jedoch nicht, „dass wir Dominanz gegen Abhängigkeit tauschen“ und sorgt sich um die Zukunft eines wirtschaftlich abgehängten Europas: „Was wird aus uns?“, fragt er und legt die Stirn in Falten. Kritik übt der Ex-Minister zudem am oftmaligen Schweigen deutscher Wirtschaftsdelegationen zum Thema Menschenrechte.
„Wir stehen vor einer dramatischen Zäsur“, prophezeit Fischer: Nur gemeinsam mit starken Bündnispartnern sei es Deutschland möglich, demokratische und rechtsstaatliche Werte dauerhaft zu bewahren. Angesichts einer seit 2016 spürbaren politischen Erosion der Westmächte, die am Brexit-Referendum sowie der Trump-Wahl in den USA festgemacht wird, betrachtet er eine Stärkung der EU als einzige Option, im Globalisierungsprozess europäische Werte zu behaupten. Hierzu gehöre auch ein „wirksamer Schutz der EU-Außengrenzen“ – zumal die Migrationswelle des Jahres 2015 die geopolitische Verwundbarkeit des Kontinents gezeigt und bewiesen habe: „Man kann zu Fuß ins Zentrum Europas gehen.“
Das Publikum zeigte sich jedoch nicht immer einig mit Fischers zuweilen steilen Thesen – insbesondere bei den mantraartig wiederholten Forderungen nach forcierter Europäisierung und weiterer Digitalisierung der Arbeitswelt ging wiederholt ein Raunen durch die Reihen. Für eine anschließende Diskussion aber ließ der Veranstalter leider keinen Platz.
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