Liebe oder Kommunismus

„love you, dragonfly“, Foto: Thilo Beu

Liebe oder Kommunismus

„love you, dragonfly“ in Bonn

Ironie mal Ironie ist Ernst. Holger Kraft im geschmacklosen Shirt erzählt mit viel Entertainmentqualität von seinem unzerstörbaren Glauben an den Fortschritt: Wie ihm die Erfindung eines Präparats gelingt und er seine Tochter vor dem Tod rettet; wie er sich selbst zu einer Frau ummodelt und schließlich sich seine Ehefrau als jungen Klon erschafft. Doch je absurder diese wissenschaftliche Selbstermächtigung daherkommt, so abstrus Holger Kraft im Reifrock mit Latexweste aussieht, man „glaubt“ ihm schließlich jede groteske Volte. Es sind „Sechs Versuche zur Sprache des Glaubens“, die Fritz Kater (in der Realität der Regisseur Armin Petras) in „love you, dragonfly“ anstellt: Vom Glauben an die Liebe, an die Familie, an Gott oder den Fortschritt, von der Sowjetunion 1935 bis zur Zukunft 2018. Da entscheidet sich der eingefleischte Kommunist gegen die Liebe und für die Politik; da ist der deutsche Adoptivvater eines afrikanischen Jungen, der zum Mörder geworden ist. Oder freiheitstrunkene DDR-Jugendliche.

Regisseurin Alice Buddeberg verortet die sechs Szenen auf einer steilen Schräge, umgeben von einer hohen Wand, an der eine Sitzbank umläuft. Eine Mischung aus Warte- und Kursaal, dessen Gefälle den Halt eines Wertegefüges schon apriori in Frage stellt. Und so steht der Glaube von Beginn an unter Druck, vor allem inszenatorisch: Birte Schrein bellt sich als aufputschte DDR-Panzerfahrerin durch die Szene; Lena Geyer brüllt als afrikanischer Junge seine Kritik am Vater und an Deutschland heraus; doch auch die Katertypischen romantisch-träumerischen Freiheitsszenen der DDR-Jugend geraten wenig eindringlich. Es sind die Monologe, die der Bonner Hausregisseurin am besten gelingen: Holger Kraft mit einer absurden Fortschrittsetüde und in der verstörendsten Szene des Abends, Sören Wunderlich als 13-jähriges Mädchen in grünem Rock und weißer Bluse, das von einem Mann vergewaltigt wird und diese Erfahrung als gottgewollt interpretiert. Wie hier Schüchternheit, Naivität, Märchenton mit der Kompensatorik des Glaubens sich vereinen, das ist ziemlich verstörend. Glaube ist mehr als Pathos und Gefühlsausbruch. Leider sieht man das zu selten an diesem Abend.

„love you, dragonfly“ | R: Alice Buddeberg | Sa 5.11., Fr 11.11. 19.30 Uhr | Theater Bonn/Kammerspiele | 0228 77 80 08

Autor

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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