Innenleben der Wirklichkeit

Ausstellungsansicht „Ursula – Das bin ich. Na und?“, Museum Ludwig, Köln 2023, © Museum Ludwig, Köln, Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln/Benita Ruster

Innenleben der Wirklichkeit

„Ursula – Das bin ich. Na und?“ im Museum Ludwig

Wie eingefroren und eben doch nicht: Die Zeichnungen, Gemälde und plastischen Werke von Ursula (1921-1999) zeigen Wesen in statuarisch monumentaler Bewegtheit. Die Binnenformen selbst sind feingliedrig. Wie ein Strickmuster oder Reihen von Perlen angelegt, umspielen sie sich wie Blätter im Wind. Schon früh, in den 1940er/50er Jahren hat sich Ursula, die aus dem Bereich der Literatur und der Sprache kam, der Darstellung dichter Traumwelten in eigenständiger Nachbarschaft zum Surrealismus zugewandt. Sie hat mythische Wälder und offene Räume gemalt, riesenhaft besetzt von phantasiereichen Wesen, oder mit ihr selbst, sozusagen eingesponnen – wie in einem Kokon, aus dem eine Metamorphose erwächst. Einer der abschließenden Säle in Ursulas Gesamtschau im Museum Ludwig ist mit „Schmetterlings-Nacht“ überschrieben. „Meine Spinne“ wurde sie von ihrem Ehemann, dem surreal-informellen Künstler Bernard Schultze in der Traueranzeige genannt und so war auch ihr Rufname in der Kölner Kunstszene: vielleicht mit Anspielungen auf die verwobenen Nachtschattengewächse ihrer Bilder.

Ursula bringt in ihren Werken Elfen ebenso wie Monster hervor und stellt sie als Silhouetten mit expressiven Gesten in den Raum. Und doch spiegelt diese Gegenwelt die sensible Wahrnehmung äußerer Anlässe wider. Oder wie Ursula schrieb: „Ich zwinge meine Visionen der Realität auf“. Das beginnt mit der Beschwörung der Natur, die sich vielleicht an der Kindheit in Mittenwalde und Berlin-Lichtenrade entflammt hat mit dem kontrastierenden Wechsel in die Großstadt: zunächst nach Frankfurt am Main und dann in internationale Metropolen, ehe sie sich in Köln ansiedelte. Neben das Fortschrittliche tritt das Mondäne des gesellschaftlichen Lebens. So verwendet Ursula bereits in den 1960er Jahren Pelz, den sie auf ihre Bilder appliziert oder für ihre Objekte verwendet. Schließlich findet sich dort auch Kopfschmuck, und man denkt an die Federboa und den Vamp der Partys und ein neues, gesteigertes Selbstbewusstsein der Frau – eines der Themen Ursulas, das gesellschaftliche Riten und Formen der Kommunikation zum Ausdruck bringt.

Ursula, Salomé, 1962, Öl auf Leinwand, 146 x 89 cm, Privatsammlung courtesy Galerie Michael Haas, Berlin, © Museum Ludwig, Köln, Repro: Rheinisches Bildarchiv Köln

Ihr Werk vergegenwärtigt Erinnerung, zitiert die Kunstgeschichte, zaubert Paradiesgärten hervor und greift zwischenmenschliche Beziehungen auf. Dazu gibt es in der Ausstellung lebensgroße Cut-Outs, die noch die Anklänge an die Pop Art (das Plakative, Kontrastreiche, Leuchtende) verstärken, oder die Fratzen, die sich problemlos der COBRA-Gruppe zuordnen ließen, das überbetont Naive, das leichthin den Klang der Art Brut anschlägt, und doch legt sich über alles ein geheimnisvolles Raunen, und zugleich wird es ernst. Die Entäußerung geht mit Fragilität einher, Widerstand und Selbstbewusstsein kennzeichnen diese Figuren. Aber sind es Frauen? Die Wesen oszillieren zwischen Frau und Mann, Mensch und Natur. Es geht um Identität und Heimat, ein Sich-Einrichten und Sich-Behaupten mit und gegen die Konventionen. Nicht, dass Ursula – die der Kunstbetrieb lange vergessen hat – ihrer Zeit wirklich voraus war. Aber dass ihr Werk aktuell verstanden werden kann, das zeigt die Ausstellung im Museum Ludwig sorgfältig und eindrucksvoll.

Ursula – Das bin ich. Na und? | bis 23.7. | Museum Ludwig | 22 12 61 65

Autor

Thomas Hirsch

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