trailer: Herr Kröck, eine Million weniger im Budget – hilft da nur noch Inszenierungssampling?
Olaf Kröck: Das ist keine Geldfrage. Das ist eine inhaltliche Frage. Ich fand es sehr wichtig, dass wir ein Festival machen, das nicht immer als erstes eine Weltpremiere haben muss und so nicht teilnimmt am seltsamen Wettstreit unter Kunstinstitutionen, der ähnlich funktioniert wie der eines globalen Marktsystems. Da wollte ich einen Gegenakzent setzen. Und deswegen fand ich die Heiner Müller-Arbeit „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“von 1995 so besonders, weil wir damit einen Jahrhundertzeugen zeigen wollen. Nichtsdestotrotz: eine Million weniger, das ist schon eine Herausforderung. Wir haben aber eher Geld mit strukturellen Entscheidungen eingespart, wir bauen ein Zelt weniger auf, wir haben es mal um eine Woche verkürzt. Inhaltlich haben wir versucht, keine Abstriche zu machen.
Aber der hechelnde Hund bei Heiner Müllers Ui ist immer noch derselbe?
Ja. Der hechelnde Hund (Martin Wuttke als Ui) ist 24 Jahre älter geworden. Die Inszenierung ist und bleibt interessant, weil die Arbeit ja auch so viele Theatermacher beeinflusst hat. Wir haben weltweit Anfragen bekommen, um für diesen Abend hierher zu kommen.
Welche Bedürfnisse des Publikums sollen bei den Ruhrfestspielen bedient werden?
Ich möchte Zuschauer mitnehmen. Aber wir verändern uns und das braucht es auch, um zukunftsfähig und vor allem international relevant zu sein. Die Ruhrfestspiele haben eine riesige Zuschauerschaft, die hier verwurzelt ist und die ist sehr divers. Die hat unterschiedliche Bedürfnisse, um das als ihre Ruhrfestspiele zu verstehen. Wir haben ein Kabarettprogramm, aber auch zeitgenössischen Tanz. Und zwar den zeitgenössischen Tanz, der in der Welt gerade zur Spitze zählt. Bei anderen Festivals würde man das vielleicht als Widerspruch empfinden. Bei den Ruhrfestspielen ist das Teil der Geschichte und des Profils. Das war unsere Entscheidung, breit zu bleiben und jetzt nicht stärker ein Spezialistenfestival zu werden.
Poesie, Politik und Religion – zumindest wird der Sufismus auf deutsche Gesetzgebung trotz Peter Brook keinen Einfluss gewinnen, oder?
Ich finde für Theater und für Kunst ist jede Frage nach Spiritualität total wichtig und ich glaube, dass diese eine Urfrage des Menschseins ist. Gibt es etwas, das größer ist als ich? Und wenn es etwas gibt, was ist das? Das haben sich die Menschen ja sehr unterschiedlich beantwortet und streiten da bis aufs Blut. Ich habe meine individuelle Antwort, aber ich positioniere mich da nicht. Aber wir merken, auch im politischen Geschehen scheint es uns schwer zu fallen, ohne eine Form von religiöser Bezüglichkeit auszukommen. Ich finde es in einem so diversen Europa, wie wir es erleben, falsch, eine Leitreligion vorzugeben. Demokratie muss davon frei sein. Und das Stück „The Prisoner“ von Peter Brook ist total interessant, weil es nämlich jenseits aller religiösen Fragen die Fragen nach Schuld und Sühne stellt und zwar in einem Schuldkontext, der nach europäischen Gesichtspunkten gar nicht so leicht nachvollziehbar ist. Da ist man fast in der Antike. Und Brook gelingt es immer wieder, uns in unseren Kategorien infrage zu stellen. Warum glauben wir eigentlich, dass unsere diejenige ist, die für alle Menschen auf der Welt gleichermaßen gelten soll.
Kommen wir zum Zirkus. Der ist neu. Hat sich der alte totgelaufen?
Vielleicht. Aber der neue Zirkus ist eine Kunstform, die etwas tut, was dem Theater über viele Jahre vorgeworfen wurde. Er versucht nämlich, neue mediale Formen in seine Kunstform zu integrieren. Es ist spannend, zu beobachten wie sich der Zirkus zu einer neuen Form der Performance und Avantgardekunst entwickelt und dabei immer noch unterhaltsam und virtuos bleibt. In „Raven“ denken die junge Artistinnen von still hungry beispielsweise darüber nach, was es heißt, Zirkuskünstlerin und Mutter zu sein. Das ist also ein Zirkusabend über das Thema Muttersein und an einem anderen Abend bei der argentinischen Kompanie Poyo Rojo geht es um Männlichkeitsbilder.
Welche Produktionen sind denn in diesem Jahr wichtig?
Ohne es klischiert zu meinen: Es fällt mir schwer, einzelne rauszunehmen, weil wir ganz bewusst versucht haben, das Programm nicht nach Wertigkeiten zu gestalten. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass die Arbeit von Peter Brook außergewöhnlich ist und vor allem auch die Inszenierung von Ivo van Hove, der mit „Ein wenig Leben“ kommt. Diese Arbeit bringt einen als Zuschauer inhaltlich an eine Grenze und das ist eine Erfahrung, die man im Theater mittlerweile viel zu selten macht. Die fast kathartische Erfahrung, die man da macht, ist nicht leicht. Ästhetisch ist das nicht kompliziert, aber inhaltlich ist es herausfordernd.
Ruhrfestspiele 2019 | 1.5. - 9.6. | Ruhrfestspielhaus Recklinghausen | www.ruhrfestspiele.de
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