In gläsernen Zellen
„absence#1.2 – AntiKörper“ im Barnes Crossing
Seit zwei Jahren erforscht die Choreographin Ilona Pászthy das Verschwinden des Körpers aus der Realität. Bilder – vorzugsweise digitale – ersetzen das Erleben des realen Körpers und reduzieren das Spektrum der Sinne auf visuelle Reize. Die sinnliche Vielfalt der Menschen bleibt dadurch auf stromlinienförmige Schönheitsideale beschränkt. Als Choreographin erlebt Ilona Pászthy die Fülle körperlichen Ausdrucks jedoch hautnah. In ihrem Produktionszyklus „absence#“ buchstabiert sich die Künstlerin durch die Stationen der Sinne. Jetzt erweiterte sie die Serie mit „AntiKörper“, einer Produktion für Jugendliche, die sie im Barnes Crossing, dem Tanzzentrum in der Wachsfabrik, zeigte. Dabei stellte sie fest, „dass viele Jugendliche mit Tanz nur Ballett und Hiphop verbinden.“ Aber schon das Bühnenbild in einer Produktion von Pászthy unterscheidet sich üblicherweise von der herkömmlichen Trennung zwischen Bühne und Publikum. Die Besucher können sich frei im Raum bewegen und die Tanzenden aus unmittelbarer Nähe beobachten.
Auf der Bühne agieren Anika Bendel und Manuel Kisters in gläsernen Zellen, die sich im Raum bewegen und in denen sie sich umkleiden, ausziehen und verwandeln. „AntiKörper“ ist ein Stück über die Pubertät, „eine Zeit, in der jener Körper, den man kennt, verschwindet und man sich in der Verwandlung neu finden muss“, erklärt Ilona Pászthy. Deshalb gewinnt die Frage der Identität für Teenager so übermäßig an Bedeutung. Geklärt werden kann sie nicht mit den eigenen Eltern, dazu ist vielmehr der gesellschaftliche Diskurs notwendig und vor allem hat sich die Kunst auf diesem Terrain zu bewähren. Sie kann nach einer Sprache für das forschen, was zunächst so verwirrend erscheint.
Die Inszenierung greift ebenso pointiert wie komplex das Spiel mit den Attributen der Geschlechter auf. Da geht es etwa um Kleider und muskulöse Schultern. Wir sehen, wie Tänzerin und Tänzer mit ihrer Kleidung ein Stück Identität ablegen, mit den bloßen Körpern aber auch die körperlichen Unterschiede umso deutlicher hervortreten. Die Inszenierung arbeitet kunstvoll mit Projektionen, die sich auf die Gestalt der beiden legen. Ganz konkret ist dann ein behaarter Oberkörper mit zwei Brüsten zu sehen. Im Schlussbild gehen Bendel und Kisters als ein Doppelkörper von der Bühne. Überzeugend wirkt die lebendige Fragenstellung dieser Produktion, die nicht bei Ideologien haltmacht, sondern direkt auf die Realität des Körpers schaut.
Autor
Thomas Linden