Im Blutstrom blättern

fringe ensemble: „fremdKörper“, Foto: Claudia Grönemeyer

Im Blutstrom blättern

Die Fastenzeit an den Theatern im Rheinland

Eine Plastikflasche kommt auf eine Halbwertzeit von etwa 450 Jahren, eine Plastiktüte auf etwa 10 Jahre – bis sie abgebaut sind. 150 Tonnen Kunststoffmüll schwimmen derzeit in unseren Meeren herum, fast drei Viertel davon lagern auf dem Meeresboden, der Rest treibt an Küsten oder unter der Wasseroberfläche. Durch UV-Strahlung und Reibung zerlegt er sich allmählich in Mikropartikel und gerät so in den Nahrungskreislauf von Tieren, von denen ca. 1 Million pro Jahr an den Umweltgiftstoffen verenden. Inzwischen hat sich zwischen Kalifornien und Japan ein gewaltiger Plastikmüllwirbel gebildet, der als „siebter Kontinent“ die Größe Indiens erreicht. Regisseur Jan-Christoph Gockel, der sich mit Stückentwicklungen einen Namen gemacht hat und derzeit Hausregisseur am Staatstheater Mainz ist, nimmt sich in der Koproduktion „Der siebte Kontinent“ des Theaters Bonn mit dem Kölner Theater im Bauturm des Thema Plastikmüll an. Wasserflaschen aus Plastik dürften be| den Proben vermutlich verboten sein…

Was wir den Fischen zumuten, würden wir nicht mal unserem Hund zu fressen geben. Immerhin kommt der Fisch dann frisch auf unseren eigenen Tisch. Ist ja bekanntlich gesund… In unserem Selbstoptimierungswahn müssen schließlich auch unsere Körper mithalten. Und die dürften zwischen Leistungswahn, Arbeitsstress und forciertem Verschleiß nicht viel zu lachen haben. Ein Bodybuilder auf einer Bühne wartet auf das Urteil einer Jury. Eine Prostituierte erwartet in ihrer Eigentumswohnung einen Kunden. Und ein Obdachloser dämmert in einer Unterführung am Bahnhof der Nacht entgegen. Drei Lebensentwürfe, in deren Zentrum der Umgang mit dem eigenen Körper steht. 2016 hat der Autor Lothar Kittstein in Bonn Interviews geführt und daraus für das katholische Bildungswerk den Abend „fremdKörper“ entwickelt. Das fringe ensemble unter der Regie von Frank Heuel bringt das kurze Stück jetzt nochmal auf die Bühne.

Einen völlig anderen Umgang mit dem Körper hat sich dagegen Shakespeare in seinem ersten Stück „Titus Andronicus“ ausgedacht, das Tim Mrosek in der Orangerie inszeniert: 17 Morde, Verstümmelungen der erlesensten Art und eine der brutalsten Vergewaltigungen. Ein blutigeres Schlachthaus ist das Theater selten gewesen. Der römischeFeldherr Titus Andronicus kehrt von einem erfolgreichen Feldzug gegen die Goten zurück und lässt den ältesten Sohn der Gotenkönigin Tamora als Opfer zerstückeln. Als Tamora die Gattin des römischen Kaisers wird, übt sie Rache. Da werden Körper erstochen, eingegraben, Gliedmaßen abgeschnitten, Menschenknochen gemahlen und ins Essen gemischt. Der politische Konflikt zwischen spätrömischer Dekadenz und Barbaren hat sich vom Militärischen aufs familiäre Schlachtfeld verlagert. Heiner Müllers berühmter Shakespearekommentar dazu lautete schlicht:„Der Menschheit / Die Adern aufgeschlagen wie ein Buch / Im Blutstrom blättern.“

„Der siebte Kontinent“ | R: Jan-Christoph Gockel | Di 6.4.(P) am Theater Bonn | 0228 77 80 08 | Fr 21.4.(P) am Theater im Bauturm | 0221 52 42 42

„fremdKörper“ | R: Frank Heuel | Sa 11., Mo 12.3.20 Uhr | Theater im Ballsaal | 0228 79 79 01

„Titus Andronicus“ | R: Tim Mrosek | 4.4.(P) 20 Uhr | Orangerie | 0228 470 45 13

Autor

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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