Hamlet in der Düsterwelt

Nicht Fisch, nicht Fleisch, düsterer Hamlet in Schädelkulisse Foto: Thomas Aurin

Hamlet in der Düsterwelt

Pedro Martins Bejas Inszenierung am Theater Oberhausen – Auftritt 04/15

In dunkler Nacht ergehen sich viele Schicksale. Sie gehört den Toten, den zwar nicht-lebenden, aber doch ziemlich präsenten. Der Totengräber (Jürgen Sarkiss) gibt den Takt, vermisst die Lebenden, zitiert die Toten, zieht den langen Bogen zwischen Rom und Helsingör. The Night Chicago Died. Irgendwie kommt mir der Song in den Kopf. Mag es an Heiner Müller liegen, dessen Übersetzung Regisseur Pedro Martins Beja am Theater Oberhausen für seine „Hamlet“-Inszenierung benutzt? Jedenfalls: Hamlet ist back auf Giedi Prime, der dunklen Harkonnen-Welt, auf der auch Pedro Martins Bejas Bühne zu liegen scheint und wo die Zuschauer der ersten Reihe erst einmal für ihre möglichen Särge vermessen werden.

Es ist wie immer, es ist was faul im Staate Dänemark. Der junge Prinz klammert sich an das Gedenken seines Vaters. Eike Weinreich als Hamlet ist eher ein wirres Wesen, das zwischen der riesigen Weltkugel auf der Bühne, in der ein Schwert steckt und den mächtigen Flakscheinwerfern rechts und links hin und her lamentiert und keck mal jammert. Die Zeit aus den Fugen, die Nichtzeit im Herzen, in welcher Zwischenwelt er nun auch gefangen sein möge. Das ausgerechnet in dieser Inszenierung das Standardzitat „Mehr Inhalt, weniger Kunst“ untergeht im teils unverständlichen Gebrabbel der Protagonisten, könnte man auch als Statement nehmen, nichtsdestotrotz artifiziell um jeden Preis bleibt das Spektakel ohne feste Verortung, aber mit Erdhügel und Badewannen-Grab. Hier gehen sie rings um die stachelige Birne, die hohlen Männer vom Königreich des Todes, die Drehbühne knarzt zu T.S. Eliot, die Weltkugel auf der Bühne (cool: Volker Hintermeier) wird zum Totenschädel des Yorik, der aus dem unentdeckten Land herüberreicht in Hamlets wirre Welt. Die hat sich komplett ausgelöst, seit er seinen toten Vater um Mitternacht unter dumpfen Schlägen als Geist (auch Jürgen Sarkiss mit Maske am Hinterkopf) entdeckt und die wahren Zusammenhänge erfährt: Onkel Claudius ist der Übeltäter, meuchelte den Bruder, heiratete Hamlets Mutter und macht einen auf gütigen Herrscher. Rache, was sonst. Der dänische Königsneffe schiebt noch schnell Freundin Ophelia (Laura Angelina Palacios) ab, kassiert den langen Finger und Pause ist.

Beja inszeniert fluffig weiter. Das Schauspiel sei die Schlinge. Ausgerechnet. Am Tag als der Regen kam. Daliah Lavi im Ohr, die „heiligen Drei“ vor Augen, jetzt gleitet die Welt endgültig ins Paralleluniversum des Heiner Müller weiter. Hamlet spielt vor dem Hofstaat die entlarvenden Gespenster am toten Mann. Mit der blonden Germania, Hitler und Goebbels, Jammerkönigsmörder hilf im Führerbunker. Islamisten, Pegidas, Maskenchor und etwas Pornosprech bringen da nicht nur den falschen König zum Flüchten, sondern auch die Jugendlichen im Publikum zum wiehern, über Sinn und Unsinn möge man geteilter Meinung sein, regiemäßig oldschool war es allemal.

Während die arme Ophelia nun langsam dem Wahnsinn verfällt, auch ihr Vater ward gemeuchelt (von Hamlet), dreht sich das düstere Karussell wieder zur finalen Choreografie. Auch sie muss sterben im Grab-Restwasser. Also werden die Degen geschwungen zwischen Laertes und Hamlet, der tödliche Becher von Laertes zur Restrisikovermeidung gereicht, dummerweise trinkt seine Gattin (Elisabeth Kopp, schick, aber unverständlich) daraus – und stirbt („Ich bin tot.“) als halber Slapstick. Komisch, über allem liegt Adriano Celentanos „Azzuro“, aber auch das kann die Bläue nicht zurückbringen ins schwarze Leichenhaus von Frank Herberts Harkonnenplaneten. Hamlet kämpft wie er gelebt hat, verwaschen, fahrig, manisch unkonzentriert. Er wird vom natürlich vergifteten Schwert getroffen, Laertes auch und der böse Königsmörder (Torsten Bauer überzeugend als einzige Shakespeare-Struktur). Im Blutsturz von der Decke stirbt der Prinz, der Totengräber wird viel Arbeit haben, der Chor kommt wieder aus dem Untergrund, es sollen wohl die Truppen von Fortinbras sein, doch dieser Aspekt geht unter im letzten Auftritt der toten Ophelia: „Ich bin Ophelia. Die der Fluss nicht behalten hat.“ Heiner Müllers „Hamletmaschine“. Kann man machen.

„Hamlet“ | R: Pedro Martins Bejas | Mi 15.4. 19.30 Uhr, So 19.4. 18 Uhr | Theater Oberhausen | 0208 8 57 81 84

Autor

PETER ORTMANN

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