„Haben wir diese Werte je selbst eingehalten?“

Stefanie Carp, Foto: Daniel Sadrowski

„Haben wir diese Werte je selbst eingehalten?“

Stefanie Carp über ihr zweites Jahr Ruhrtriennale

Das zweite Jahr ist Stefanie Carp Intendantin der Ruhrtriennale, die im August beginnt. Es wird ein europäischer Blick nach innen werden. trailer sprach mit ihr über das neue Programm.

trailer: Frau Carp, in Ihrem ersten Jahr bei der Ruhrtriennale war es eher ein Blick nach draußen – jetzt scheint es mehr um Europa selbst zu gehen. Hat das besondere Gründe?
Stefanie Carp: Die europäischen Künstlerinnen und Künstler beschäftigen sich in dieser Ausgabe sehr selbstkritisch mit dem, wofür Europa steht. In Christoph Marthalers Kreation geht es dabei um den Verlust von Demokratie, der ja in vielen Ländern Europas und in Deutschland selbst zu bemerken ist, mit zunehmendem Antisemitismus, Rassismus, der Abschottung gegenüber Einwanderern, dem Aufstieg der AfD und so weiter. Und Christoph Marthaler hat auch in der ersten Ausgabe mit„Universe, Incomplete“keinen außereuropäischen Blick geworfen, er ist ja ein europäischer Künstler.

Christoph Marthaler inszeniert jetzt „Nach den letzten Tagen. Ein Spätabend“ im Audimax der Ruhruniversität, einem visionären Betonbau der 1970er Jahre?
Wir tun dies in der Universität weil wir einen öffentlichen Raum gesucht haben der für ein Parlament stehen kann. Die ganze Fiktion, die dort stattfindet, ist sozusagen ein geträumtes Parlament, in welchem die Politiker zwischen den Zeiten changieren. Zwischen der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, der heutigen Zeit und der morgigen Zeit. Und wir haben einen Raum gesucht, in dem man glaubhaft eine Öffentlichkeit herstellen kann – in einer ehemaligen Industriehalle hätte man so eine Anordnung als Bühnenbild hinein bauen müssen.

Zur Person:
Stefanie Carp
leitet als Intendantin mit Christoph Marthaler die Ruhrtriennale bis 2020. Sie studierte Literaturwissenschaft in Hamburg und Berlin und arbeitete als Dramaturgin am Düsseldorfer Schauspielhaus, am Theater Basel, am Deutschen Schauspielhaus und an der Volksbühne in Berlin. Sie kuratierte das Schauspielprogramm der Wiener Festwochen in den Jahren 2005 und 2008 bis 2013. Foto: Daniel Sadrowski

Das Auditorium ist ja auch schön rund …
… und der Ort hat auch mit dem Strukturwandel im Ruhrgebiet zu tun, weil man damals bemüht war, den Bergbau durch Bildung zu ersetzen.

Wenn die Ruhrtriennale in diesem Jahr in den europäischen Polit-Spiegel schaut, sieht sie dann vielleicht nur das böse Lächeln eines Dorian Gray?
Tagespolitik interessiert mich hier weniger. Ich verfolge eher einen geschichtsphilosophischen Ansatz, also dass man sich fragt, was Europa bedeutet, bedeutet hat und in Zukunft bedeuten kann. Das meine ich auch nicht auf einer praktischen Ebene – mich interessiert das Gerede über die Europäische Union, ob nun ja oder nein oder weiter so, hier auch nicht. Es steht die Frage im Zentrum, nach welchen Werten wir leben und ob wir diese Werte der ganzen Welt aufdrücken dürfen. Und ob wir sie eigentlich jemals selbst eingehalten haben. Denn diese ganze Politik des Eingrenzens und Ausgrenzens, womit die sozial Schwächeren gemeint sind, von denen sich die Eliten trennen möchten, widerspricht diesem Anspruch ja vehement. Um diese ganze Gemengelage geht es, aber wie immer in der Kunst nicht so direkt. Das sind die Themen, mit denen sich die Künstlerinnen und Künstler auf ihre subjektive, sehr eigene Weise beschäftigen. Und das ist jetzt meine persönliche Zusammenfassung, vielleicht würden da einzelne Künstlerinnen und Künstler widersprechen. Denn sie verhandeln vielleicht ganz andere Aspekte und ich mache nicht ein Programm, indem ich Künstlerinnen und Künstlern Themen vorschreibe.

Und wenn wir konkret was für eine transnationale Zukunft tun wollen, dann sollten wir am utopischen Trainingslager von Jonas Staal teilnehmen. Huxleys Schöne neue Welt ist irgendwie unaufhaltsam geworden?
Huxleys Welt hat sich heute schon fast überholt, würde ich sagen. Jonas Staals Projekt ist ein angenehmer, lustiger Space. Bei „Training for the Future“ kann man spannende Kurse mit internationalen Expertinnen und Experten und Aktivistinnen und Aktivisten belegen.

Heiner Goebbels darf in diesem Jahr noch mal furiosen Geschichtsunterricht inszenieren?
Also ich habe ihn gefragt, ob ich eine Arbeit von ihm zeigen darf. Geschichtsunterricht ist es natürlich nicht – sonst wäre es ja auch nicht Heiner Goebbels. Es ist ein Projekt, das in Fragmenten des Bühnenbilds seiner Inszenierung von „Europeras“, mit der er 2012 die Ruhrtriennale eröffnete, arbeitet. Das allein finde ich sehr spannend – ansonsten ist es aber eine ganz neue Arbeit.

„Es ist meine Aufgabe diese Industriehallen zu bespielen“, Foto: © Jörg Brüggemann / Ostkreuz / Ruhrtriennale

Jan Lauwers inszeniert mit der Needcompany auf skurrile Weise eine Forschungsarbeit zu Identität und Wahrheit?
Wahrheit eigentlich nicht, da es sie ja als solche gar nicht gibt. Ich würde es eher eine Forschungsarbeit über Kunst nennen. Er verteidigt in „All the Good“ seine Sicht auf Kunst und geht gleichzeitig darauf ein, wie stark sich die verschiedenen Perspektiven und Identitäten in unserer transnationalen, transkulturellen Welt verändert haben. Er stellt damit auch die Frage, welches Recht er überhaupt hat, etwas darzustellen, was er also darstellen darf oder worüber er vielleicht auch nicht sprechen darf.

Könnte man die Arbeit von Jan Lauwers und Needcompany als eine Art Gegenmodell zu Heiner Goebbels betrachten, im Sinne der Art und Weise, wie man mit Themen auf der Bühne umgeht?
Ich würde hier nicht von Gegenmodellen sprechen. Teilweise haben die beiden sogar eine gewisse Ähnlichkeit, beide stammen aus diesem 1990er-Jahre-Kosmos. Was völlig anderes wäre dann als Beispiel die Arbeit von Kornél Mundruczó, das ist eine andere Ästhetik. Der ist 44, also eine andere Generation. Er inszeniert die große Musiktheater-Kreation „Evolution“ in der Jahrhunderthalle. Das sind neue Ästhetiken und Erfindungen. Jan Lauwers hat aber eine andere künstlerische Position als Heiner Goebbels, weil er ein Thema dezidiert verhandelt, während Goebbels viel abstrakter bleibt.

Im letzten Jahr geisterte Schorsch Kamerun durch ein Problemviertel im Ruhrgebiet – findet in diesem Jahr alles nur in den schick sanierten Industriehallen statt?
Es ist meine Aufgabe diese Industriehallen zu bespielen. Wenn ich dies nicht tun würde, könnte ich nicht Intendantin der Ruhrtriennale sein. Dieses Jahr gibt es aber auch ein Stadtprojekt der Künstlerin Barbara Ehnes, das sich in der Bochumer Innenstadt abspielt: Αλληλεγγύη (Solidarität), ein wachsendes Archiv von Video-Interviews aus Griechenland und dem Ruhrgebiet zum Thema Solidarität. In Duisburg-Hochfeld eröffnet die Junge Triennale im September außerdem einen interaktiven Projektstandort. So ein größeres ortsspezifisches Projekt wie wir es mit Schorsch Kamerun in Dortmund gemacht haben kann man sich neben dem Bespielen der Hallen nicht jedes Jahr leisten. Außerdem ist es schwierig, aus den Strukturen der Ruhrtriennale heraus zu gehen. Neue Orte zu etablieren ist immer mit großen Anstrengungen verbunden.

Ruhrtriennale 2019 | 21.8. – 29.9. | www.ruhrtriennale.de

Interview:

PETER ORTMANN

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