Glanzvolle Wiederaufführungen

Anmut in Schwarzweiß: Nostalgische Filmerlebnisse in Bonn, Foto: DFF / BFI Nationale Archive

Glanzvolle Wiederaufführungen

Internationale Stummfilmtage Bonn

„Wie hoffen, Sie teilen unseren Enthusiasmus!“, ruft uns Eva Hielscher, gemeinsam mit Oliver Hanley künstlerische Leitung der Internationalen Stummfilmtage Bonn, auf der Pressekonferenz entgegen. Und schaut man in das Programm, auf Gestaltung und Leidenschaft, mit der diese allsommerliche Veranstaltung gestemmt wird, ist der Enthusiasmus schnell ansteckend. Zwei Krisenjahre liegen auch den Stummfilmtagen im Rücken. Große Herausforderungen, die aber auch neue Möglichkeiten eröffnen und deren Umsetzung gar beschleunigt haben: So können auch in diesem Jahr alle Filme aus dem Hauptprogramms am Tag nach der Vorführung für 48 Stunden online geschaut werden. Weltweit – und gratis. Aber nichts ist umsonst, und Kunst schon gar nicht. Und so honoriert der Zuschauer das Dargebotene mit einer anständigen Spende.

Alles ist möglich

Und zwar konkret für Folgendes: Traditionell, weiß Hanley, unterliegen die Stummfilmtage keinem thematischen oder genrespezifischen Rahmen, was unendliche Möglichkeiten offeriert – und die Qual der Wahl. Also wägt man ab nach kuratorischem Ideal, nach Land, Genre, Künstler:in. Nach purer Nostalgie, nach aktuellem Zeitbezug. Das Programm, das diesmal einen Produktionszeitraum von 1913 bis 1931 absteckt und unter vielen digital restaurierten Beiträgen auch Weltpremieren ausstrahlt, liest sich äußerst anregend: Den Anfang macht direkt einer der Wegbereiter des abendfüllenden Starkinos, Cecil B. DeMille mit „Male and Female“, in dem er tragikomisch Geschlechterrollen durchdekliniert. Heimatsage aus Schweden, Neorealismus aus Australien oder Wilder Westen aus Deutschland – so vielseitig die Themen, so vielseitig die Genres. Neben dem klassischen Spielfilm findet auch wieder die Avantgarde Platz: In „Hände“ ist der Titel Programm. Der Puppenfilm „Die große Liebe einer kleinen Tänzerin“ gibt sich märchenhaft, richtet sich in seiner expressionistischen Ausrichtung aber an die großen Besucher. Meistens füllt ein Film allein den Abend nicht, also reihen sich zwei Formate aneinander, und das auch mal mit inhaltlichem Bezug: Die Folgen von Drogenkonsum bebildert Charlie Chaplin („The Cure“) komisch und Asta Nielsen („Laster der Menschheit“) anschließend tragisch. Ähnlich verhält es sich mit zwei Beiträgen auf See, in denen Buster Keaton munter paddelt („The Boat“) und danach ein Dampfer sinkt („Atlantis“). Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine bereichern zwei sowjetische Produktionen von ebendort das Programm. Ebenso aktuell solidarisiert sich das Festivalteam mit Beiträgen der Cinemateca Brasileira, die unter Bolsonaro kritisch ächzt.

Altes neu

Damit der Stummfilm nicht stumm bleibt, treten alte Bekannte und erstmals geladene Live-Musiker an, die, in abwechslungsreichem Arrangement, vorkomponiert, voll- oder halbimprovisiert das Geschehen auf der Leinwand begleiten.Gerahmt wird das Hauptprogramm traditionell von Dokumentarfilmen und Gesprächen im LVR-LandesMuseum Bonn, und an den beiden Sonntagen wird wieder zu familiengerechten Formaten eingeladen.

Internationale Stummfilmtage Bonn | 11.-21.8. | Hauptprogramm im Arkadenhof der Uni Bonn | www.internationale-stummfilmtage.de

Autor

HARTMUT ERNST

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