„Gerade jetzt sind Kunst und Kultur von hoher Bedeutung“
Patrick Schmeing, Geschäftsführer der Bundeskunsthalle, über digitale Bilderwelten
Heraus zum 1. Mai. Denn der Kapitalismus prägt unser Denken, Fühlen und Dasein seit Jahrhunderten. Das behauptet in der Bonner Bundeskunsthalle die Ausstellung „Wir Kapitalisten – Von Anfang bis Turbo“, und sie behauptet auch Rationalisierung, Individualisierung und ungebremstes Wachstum. Die „DNA des Kapitalismus“ sei im übertragenen Sinne längst Teil unserer eigenen DNA geworden. Wenn das Greta hört! Museen lassen sich im virtuellen Raum sehr gut darstellen, das sieht man am 360-Grad-Rundgang durch diese Ausstellung im Internet. Mit der Maus durch die heiligen Hallen voll mit Objekten aus Kunst, Geschichte und Alltagskultur. Und mittendrin Maria der Maschinenmensch, was schon leicht nach Befreiung riecht. Irgendwo versteckt sich sicher auch das Covid-19-Virus. Gefunden habe ich es beim Surfen noch nicht – ist eben winzig, diese Geißel des Kapitalismus. Hoffen wir also auf die verschobene Ausstellung „Fragments from Now. For an Unfinished Future“ in der vierzehn junge Kuntstipendiaten der Friedrich-Ebert-Stiftung zeitgenössisch-künstlerisch Position beziehen und so als Teil eines übergreifenden gesellschaftlichen Diskurses verstanden werden wollen.

Zur Person:
Patrick Schmeing, Jahrgang 1968, hat in Köln nach einer Ausbildung zum Bankkaufmann Betriebswirtschafts-lehre und Kunstgeschichte studiert. Ab 1999 war er für den Markt- und Medienerfolg von Gewandhausorchester und Gewandhaus zu Leipzig verantwortlich. 2010 kehrte er in seine Heimatstadt zurück und arbeitete dort bis 2017 als Geschäftsführender Direktor des Gürzenich-Orchesters Köln. Patrick Schmeing ist seit dem 2018 Geschäftsführer der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn. Foto: Lisa Jureczko
choices: Herr Schmeing, Geschäftsführer in einem bis auf weiteres geschlossenen Museum zu sein, ist keine schöne Vorstellung, oder?
Patrick Schmeing: Das stimmt. Seit 14. März ist die Bundeskunsthalle wie alle öffentlichen Kulturbetriebe geschlossen. Wir folgen damit dem Erlass des Landes NRW und den Maßgaben der Stadt Bonn und wir hoffen, bald wieder die Türen öffnen zu können. Aber das hängt natürlich von der weiteren Entwicklung und den Vorgaben der Behörden ab. Gesundheit geht natürlich allemal vor.
Wie reagiert das Haus denn jetzt darauf. Mit Online-Angeboten?
Glücklicherweise sind wir im digitalen und filmischen Bereich seit vielen Jahren sehr gut aufgestellt und bieten vielfältige Formate an. Unsere Film- und Videoproduktionen sind gerade jetzt besonders gefragt und wir produzieren weiterhin diverse Formate. Zur aktuellen Beethoven-Schau bieten wir zum Beispiel einen kurzen Ausstellungsfilm im Internet an,der auch englisch untertitelt ist. Zudem wird es einen virtuellen 3D-Rundgang durch die Ausstellung geben sowie kurze Filmclips, sogenannte „Spots“ auf bestimmte Themen der Ausstellung. Zur aktuellen „Wir Kapitalisten“-Ausstellung haben wir ebensolches im Programm. Auch hier haben wir einen kurzen Ausstellungsfilm „Behind the Art“ realisiert. Zudem gibt es einen weiteren knapp halbstündigen Ausstellungsfilm mit den beiden Kuratoren Henriette Pleiger und Wolfger Stumpfe, der alle Themen und Aspekte der Ausstellung sehr gut vorstellt.
Geht man jetzt wenigstens mal alleine durch die Heiligen Hallen?
Ja, aber das tue ich auch im Normalbetrieb regelmäßig außerhalb der Öffnungszeiten, zum Beispiel mit Handwerkern und Gästen.
Muss jetzt nicht die Ausstellung „Wir Kapitalisten – Von Anfang bis Turbo“ auf die Corona Pandemie erweitert werden, die die Verletzlichkeit der Märkte ja schon zeigt?
Auf die aktuelle Corona-Krise gehen wir in unserem Ausstellungsfilm ein. Eines der Grundmerkmale des Kapitalismus ist, dass er in Krisen neue Kraft schöpft. Für bedeutende Ökonomen wie beispielsweise Joseph Schumpeter war dieser Prozess der schöpferischen Zerstörung das, ich zitiere ihn mal: wesentliche Faktum. Darin bestehe der Kapitalismus und darin müsse auch jedes kapitalistische Gebilde leben.

Die Corona-Krise ist auch ein Hinweis auf die starke Ich-Bezogenheit des Systems. Es erschreckt zu sehen, dass, wenn die vermeintliche oder echte Bedrohung uns persönlich ängstigt, mit unglaublicher Dynamik bis dato unvorstellbare Maßnahmen und Finanzierungen möglich sind, die zur Linderung von Leid und einer vielleicht sehr viel realeren Bedrohung anderer, zum Beispiel denen der Geflüchteten, niemals akzeptiert worden wären.
Interview:
PETER ORTMANN