„Dieser Arbeitskampf bestimmte unser Leben“
Brigitte Sonnenthal-Walbersdorf über den Streik der Hoesch-Frauen
trailer: Brigitte, du hast dich an vielen Protestformen der Hoesch-Frauen beteiligt – vom wilden Streik 1969 bis zum Hungerstreik 1980. Warum ist es für euch wichtig, an diese Arbeitskämpfe zu erinnern?
Brigitte Sonnenthal-Walbersdorf: Dieser Arbeitskampf bestimmte unser Leben und so sehr unseren Alltag, dass mir erst später klar wurde, wie stark wir täglich darin involviert waren – allein schon, weil unsere Männer dort im Dreischichtbetrieb arbeiteten. Ich selbst hatte als Grundschullehrerin eigene Dinge, um die ich mich kümmern musste. Wir beteiligten uns also auch wegen unserer Kinder am Arbeitskampf. Wir konnten uns nicht vorstellen, wie die Stadt ohne Hoesch aussehen wird. Falls wir bei den Kämpfen mal schlapp machten, war für uns von Anfang an eine Person dabei: die Liedermacherin Fasia Jansen.
Inwiefern war sie wichtig?
Wenn man zurückblickt, müsste man eine Liste all der Initiativen erstellen, bei denen sich Fasia beteiligte: von den Heinze-Frauen, über Hoesch, bis hin zu Rheinhausen – um nur einige Beispiele zu nennen. Sie kam einfach auf eigene Faust aus Oberhausen angereist und griff zu ihrer Gitarre. Sie hat einen wesentlichen Teil unseres Lebens begleitet – auch bei den Friedensmärschen, bis sie 1997 an den Spätfolgen ihres KZ-Aufenthaltes starb. Fasia Jansen war als Liedermacherin ein Motor für unseren Arbeitskampf. Es war auch ihr Vorschlag, dass wir einen Hungerstreik machen, damit die Konzernführung das Werk nicht schließt. Diese Zeitgeschichte wollten wir festzurren, bevor sich keiner mehr erinnert.

Zur Person: Brigitte Sonnenthal-Walbersdorf
organisierte 1980 gemeinsam mit anderen Hoesch-Frauen einen Hungerstreik, um sich mit der Belegschaft des Montanunternehmens und den Erhalt ihrer Arbeitsplätze zu solidarisieren. Als Zeitzeugin engagiert sie sich heute im Rahmen von Ausstellungen und Filmvorstellungen. Foto: Benjamin Trilling
Wie reagieren denn die männlichen Kollegen auf eure Aktionen?
Es waren fast nur Männer im Werk tätig. Daher gab es eine Skepsis gegenüber uns Frauen, nach dem Motto: Was wollt ihr schon von außen erreichen, wenn selbst wir Männer es von innen nicht erkämpft haben? Denn wir konnten von außen anders agieren, indem wir Familien, junge Menschen und Leute vom Borsigplatz ansprachen. Bei unserem dreitägigen Hungerstreik gab es etwa einen Campingwagen, vor dem wir Hoesch-Frauen saßen. Dann kam die Presse, um über unseren Hungerstreik zu berichten. Dadurch kehrte sich die Stimmung um, was uns Frauen betraf: Menschen von überallher kamen schließlich vorbei, sodass es immer voll war an unserem Hungerstreikposten.
Was würdet ihr gegenwärtigem Protest mit auf den Weg geben?
Wenn etwa heute Menschen die Proteste von Fridays for Future dafür kritisieren, dass sie während ihrer Schulzeit auf die Straße gehen, ist das so, als hätte man uns früher gesagt: Geht besser wieder an die Maschinen, statt während eurer Arbeitszeit zu streiken. Das ist eine sehr kleinbürgerliche Haltung, die die Welt nicht weiterbringt. Diese Häme über den Widerstand wird immer bleiben. Es wird nie der Fall sein, dass alle Menschen am Straßenrand stehen, um den Protest zu beklatschen. Aber es ist wichtig, persönlich Präsenz zu zeigen und beim Protest andere Menschen kennenzulernen. Dadurch kann sich etwas entwickeln. Vielleicht bleiben es nicht dauerhaft tausende Menschen. Aber selbst ein kleiner Kern kann wiederum ein Antrieb für andere sein.
Inwiefern betrachtest du eure Aktionen auch als feministisch?
Arbeits- und Frauenrechte sowie ein gleicher Lohn für alle sind die Ursprünge eines Klassenkampfes, der angeblich nicht mehr existiert. Aber er ist immer noch da: Die Klassen- und Frauenfrage hängen zusammen. Wenn du als Frau den gleichen Lohn wie dein Kollege erhältst, kann du dich besser entfalten. Aber wenn du als Frau nur ein Anhängsel deines Mannes bist, kannst du abgewickelt werden. Doch vielleicht gab es diese Einheit aus Feminismus und Klassenkampf in den Köpfen vieler Männer überhaupt nicht. Etwa bei Karl Marx. Aber mit ihm kann man sagen, dass sich die Produktionsverhältnisse geändert haben. In dieser Hinsicht gibt es auch bei uns nicht mehr die traditionelle, industrielle Mannarbeit. Die Frage nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit bleibt jedoch weiterhin bestehen: etwa als ein Einkommen, das ein Leben in Würde garantiert. Also ist es erstrebenswert, einen sich immer stärker in wenigen Händen konzentrierenden Reichtum aufzuteilen.
Wie blickst du auf das Amazon-Werk, wo auf dem ehemaligen Gelände der Hoesch-Westfalenhütte Arbeitsrechte verletzt werden?
Bei uns war es Standard, dass die Hoesch-Arbeiter bereits am ersten Tag in die IG-Metall eintraten. Wenn Amazon von einer Gewerkschaftsmitgliedschaft erfährt, stellen sie einen wahrscheinlich gar nicht erst ein. Aber die dort Beschäftigten müssen selbst die Initiative ergreifen.
Interview:
Benjamin Trilling