Die Verfritzlung Gottes

„Abraumhalde“ Foto: Thilo Beu

Die Verfritzlung Gottes

Jelineks „Abraumhalde“ im Theater Bonn

Mehr als eine Palastwand und eine Palme, von der zwei Kokosnüsse plumpsen, ist von Lessings „Nathan der Weise“ nicht geblieben – der bühnenbildnerische Abraum eines Klassikers sozusagen. Als Sekundärdrama zu „Nathan“ versteht Elfriede Jelinek ihr Stück „Abraumhalde“, das nach den verbliebenen Spurenelementen von Aufklärung, Religionstoleranz, Diskursfähigkeit und überhaupt Humanität fragt. Alles abgebrannt muss man wohl sagen. Vor den Palast hat Bühnenbildner Martin Miotk einen verkohlten Dachstuhl (doch noch ein Nathan-Zitat!) über einem Grab oder Keller in einem himmelblauen Samtkasten gestellt. Hier treibt ein abstruses abgewracktes Sextett sein Unwesen: ein Gartenzwerg mit Jogginghosen, eine Westernheld-Tunte, ein Muscle-Klon mit Leopardenhöschen, ein Schwein im Glitzerkostüm und ein Krinolinenheld mit Widderhornlocken. Sie kalauern, assoziieren, radebrechen sich mit Jelinek von den Humanitäts-Höhenkämmen in die Niederungen verschlissener Werte.

Die Übergänge werden fließend zwischen der väterlichen Verfügungsgewalt von Gott, Nathan und dem Tochtervergewaltiger Fritzl, zwischen Gräbern und Kellern, zwischen religiösen und finanziellen Tauschverhältnissen. Und zwischen den fünf Männern steht eine rotgewandete Dirndl-Maria, die den Bogen von der Gottesmutter zu einer allseits verfüg- und missbrauchbaren Weiblichkeit schlägt. Regisseurin Simone Blattner verteilt Jelineks Textfläche auf die sechs Darsteller und deutet so zumindest dialogische Positionen an – auch wenn es nicht zu Reibungen oder Konflikten kommt. Im Hintergrund läuft gelegentlich ein Herrenchor als Störfaktor durchs Bild. Mit der Zeit schälen sich psychologische Effekte heraus wie eine männliche Gruppendynamik, die sich potenzierende Misogynie, die pubertäre Freude beim Aussprechen des Wortes „Vagina“, die sich selbst verstärkende Rage bei antisemitischen Äußerungen oder der besserwisserisch auftrumpfende Stupor. Trotz nur 90 Minuten Dauer dreht sich Jelineks Suada allerdings auch bald im Hamsterrad ihrer Kalauer. Nichtsdestotrotz ein unterhaltsamer Abend.

„Abraumhalde“ | R: Simone Blattner | 7., 11.6. 18 Uhr, 23., 29.6. 19.30 Uhr | Theater Bonn | 0221 778 022

Autor

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

Dieser Artikel erschien auf www.choices.de, lesen Sie weitere Artikel auf www.choices.de/buehne

0