Die Götter in der Tiefgarage

Göttervater Wotan (Frank Wickermann) fährt das ganz große Geschütz auf, Foto: Jakob Studnar

Die Götter in der Tiefgarage

Ulrich Greb inszeniert in Moers den Nibelungen-Ring

Es gibt einen Ort wie keinen anderen auf der Welt. Es heißt, um dort zu überleben, muss man verrückt sein wie – nein, nicht der Hutmacher, der hat das Wallzentrum in Moers ja schon vor Jahren insolvent verlassen und eigentlich kann man dort auch gar nicht mehr überleben, nur noch parken – also verrückt wie die Theatermacher. Ausgerechnet hier soll das Rheingold am Königssee liegen. Hier will das Schlosstheater Wagners Ring in Gänze aufführen. Das kann ja heiter werden und anstrengend fürs verrückte Publikum in Wintermantel und mit festem Schuhwerk. Der Rhein ist lang, die Gänge in der abgewrackten Mall auch. Auf geht’s.

Alles beginnt an einer Weggabelung zwischen Musikschule und Leerstand. Auftritt der Götter und der Riesen. Wotan (Frank Wickermann, wer sonst?) preist das Einkaufszentrum als seine neue Burg für Freya an. Die beiden Riesen Fafner und Fasold, Architekten im Dienst des Hauptgottes haben den Herrschaftssitz gebaut, wurden aber noch nicht bezahlt, haben die Liebesgöttin Freia als Schuldschein und wollen endlich Gold sehen. Ulrich Greb inszeniert das Wagner-Epos wie ein Roadmovie, alles ist immer in Bewegung, an zentralen Punkten werden auch zentrale Szenen gespielt. Das verfluchte Rheingold liegt in der Tiefgarage. Also rennen wir auch dahin, lautstark angetrieben vom Göttervater und Loge (eigentlich Tenor), der/die wie immer seine/ihre kalte Hand auf die Geschichte legt, unberechenbar, maskenhaft, das Chaos in Person. Wo nochmal war Nibelheim, in Erebor, wo Smaug, nein, der Zwerg Alberich den Schatz bewacht? Im Parkhaus ganz unten, wo die Dieselfahrzeuge rotten? Genau. Hier geistert Richard Wagners Spirit durch die kahlen Wände, hier fährt Wotan das ganz große Geschütz auf, schon hier lässt die Regie die Bilder absurd werden. Ein fast original großer Panzer aus Pappe lässt Alberich verlieren und mal so richtig fluchen. Der Moerser Bürger-Chor mischt sich ein.

Alles klar. Der Anfang vom Ende ist gemacht, die Architekten-Riesen erschlagen sich, das Gold und der verfluchte Ring wechseln den Besitzer. Blühender Glanz, glitschiger Glimmer. „Brünnhilde, hier ist Papa“ – Wotan telefoniert mal eben mit der Lieblingstochter. Atari-Computer-Sound auf der Treppe, das ist geschickt und amüsant adaptiert, der ewige Moerser Regie-Running-Gag (der omnipräsente Mathias Heße ohne Hose) kommt auch noch, Siegfried auch. Jetzt geht es erst mal in die gefühlte Wärme, ans leere Ladenlokal mit Pappklo und Notung-Pappschwert, mit Papp-MGs an der Wand und wieder Mord und Totschlag, Hunding (Mathias Heße) schafft es trotz Gastfreundschaft wie immer nicht, die Geschwister Siegmund und Sieglinde verlieben sich, das Inzestopfer Siegfried (Lena Entezami, vorher Freia) kommt zur Welt, ein Waldvogel die Treppe herunter. Hier wird es für Nicht-Wagnerianer sicher etwas kompliziert, aber die Action macht das Wett, die Choreografie auch und – als Krönchen quasi – manch zufällige Berührung von leicht angetrunkenen Nachtschwärmern mit zeitgenössischem Theater in ihrem Shoppingcenter – der Berber, der die Abfalleimer seziert, gehört aber wohl zum Ensemble, oder?

Langsam sackt das Blut in die Beine. Siegfried kriegt Notung, indem er selbst schmiedet, kann vor Kraft kaum laufen. Wieder runter in die Garage. Lachender Tod, leuchtende Liebe. Wotans Enkel macht mal Tabula Rasa mit dem Heer, der Moerser Bürgerchor in Uniform hat seinen nächsten großen Auftritt. Die Story rockt jetzt. Siegfried will Kriemhild, Gunther will Brünhild, Siegfried betört Brünnhilde (jetzt nennen wir auch mal den wilden Patrick Dollas, der vorher schon Fafner spielte) mit Tarnkappe in der Hochzeitsnacht. Schicksalsort Worms. Brünhild sauer, „Siegfried, mir graut vor dir“ (das ist definitiv nicht Wagner!), der wird von Hagens (Nils Kretschmer) Gang niedergemetzelt, mit geschätzten 24712 Kugeln aus der Maschinenpistole, rutscht langsam an der Schaufensterscheibe runter. Das Publikum sitzt im Papp-Ambiente, endlich. Hier kommt die Hebbelsche Version ins Spiel. Auge um Auge, Pappe gegen Pappe, Mord für Mord. Die Götterdämmerung in der Tanzschule im ersten Stock, die tanzenden Paare spielen mit. Last Dance, die Hochzeit mit dem Nichts, alle verlieren. „Blade Runner“-Zitat von Replikant Roy Batty: Zeit zu sterben. Ein langer toller Abend ist zu Ende. Das war eine Dauerperformance zwischen Ladenlokalen, mit politischen Videoinstallationen und dem genialen Papp-Skulpturenpark von Birgit Angele.

„Der Ring. Rheingold im Königssee“ | R: Ulrich Greb | Fr 27.4. 19.30 Uhr, So 29.4. 18 Uhr | Wallzentrum Moers | 02841 883 41 10

Autor

PETER ORTMANN

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