Der Wahnsinn mit offenen Haaren
Susanne Zauns „Mutter aller Fragen“ am Schlosstheater Moers
Der jahrelange Diskurs um die latente und offensichtliche Frauenfeindlichkeit in deutschen Spielplänen hat das Schlosstheater Moers erreicht, das Publikum bekommt Fakten, Thesen und Selbstbefindlichkeiten von schauspielenden und inszenierenden Frauen, von ihren immer devoten Rollen, von den kleinen und großen Ungerechtigkeiten und den andauernden sexuellen Übergrifflichkeiten im Theaterbetrieb um die Ohren gehauen – dass es eine Lust ist, und wer sollte im Schlosstheater etwas anderes erwarten? Agitprop, der Feind des feinen Theaterabends, hing auch hier stellenweise über „Die Mutter aller Fragen oder 25 Rollen, die eine Frau niemals spielen sollte“ von Susanne Zaun, die selbst Regie führte.
Aber zuerst steht ein Mann auf der Bühne. Matthias Heße muss die schon zu Unrecht als Plattitüde geltende Abfuhr seiner Regiefrauen (Lena Entezami und Elisa Reining) ertragen – mit Hand aufs Knie und Kaffeetasse wegbringen. Danke. Du. Dabei hatte er doch Murmeltier-mäßig die Szene mehrfach angeboten. Und nicht schlecht und zu recht auf große Frauen verwiesen, wie Susanne Lothar in Peter Zadeks „Lulu“ 1988. Doch die beiden Frauen wollen lieber seine „Eier auf dem Tisch“ sehen und ein bisschen mehr Rampensau. Der Rollentausch sollte nicht amüsieren, diese Szene findet umgekehrt wahrscheinlich täglich auf irgendeiner Probebühne statt.
Gut, dass gerade eine mächtige Erdbeere auf zwei Beinen zu Laurie-Anderson-Musik daherkommt. Sie bringt die Szene in Bewegung, gedreht erscheint auf der Bühne eine weiße Hütte.Ein „House of Horror“ wie bei Volker Lösch und Christine Lang in Bonn wird die großartige Inszenierung von Susanne Zaun nicht, allerdings ähneln sich die Fakten aus der Kulturratsstudie von 2016. In Moers attackiert der Text die diversen Frauenrollen, ersonnen von Shakespeare bis Goethe, die zwischen Gefühlsduselei und devoter Hingabe am Ende immer umgebracht oder wahnsinnig werden – und dann umgebracht. Immer noch denken die Stadttheater und Deutsch-Oberstufenpädagogen, hohe Kunst sei ausschließlich – wie auch der Profifußball – eine Männerdomäne, und so werden sie weiter gemeuchelt, die Gretchen, die Julias, die Emilias, die Ophelias (die gehen aber selbst ins Wasser). Dass Schauspielerinnen diese Rollen auch spielen wollen, versteht sich von selbst. Viel Zeit bleibt ihnen nicht. Irgendwann wechselt das Fach vom Mädchen zur Mutter und dann geht allenfalls noch Medea, die überlebt, weil sie in einer von Männern bestimmten Welt eine starke Frau ist.
Das Karussell dreht sich derweil immer weiter, Susanne Zaun kann sich auf ihre drei großartigen Mimen verlassen. Deren pausenlose Kostüm- und Requisitenwechsel auf einer nach hinten offenen Bühne machen selbst jeden Szenenwechsel zum Erlebnis.Gerade noch erklärtLena Entezami, wie viele Fragezeichen (23) und Ausrufezeichen (78) in den 158 Versen von Goethes Kerkerszene im Faust stecken, da prescht auch schon Elisa Reining an die Rampe und versucht das Publikum für ihren Wunsch, Lady Macbeth zu spielen, zu gewinnen, während das Gretchen 25 Erdbeeren mit Reclamheften an der Hüttenwand zerquetscht und anschließend mit Rosenblättern im Mixer quirlt. Also was nun? Spielen oder nicht? Zumindest der Wahnsinn mit offenen Haaren würde mir fehlen. Lassen Sie sich den nicht entgehen.
„Die Mutter aller Fragen oder 25 Rollen, die eine Frau niemals spielen sollte“ | 20., 21.12. je 19.30 Uhr, 31.12. 18 Uhr | Schlosstheater Moers | 02841 883 41 10
Autor
PETER ORTMANN