Das Kollektiv als Opfer
„Danza Contemporanea de Cuba“ in Bochum
Dieser Aufbruch in die Moderne, in die Neue Musik war zugleich ein Rückfall ins Primitive, als Igor Strawinskys „Le sacre du printemps“ 1913 Premiere feierte. Denn der dissonante und perkussive Rhythmus – „der panische Schrecken der Natur vor der ewigen Schönheit“, wie Strawinsky kommentierte – bedingte damals, dass diese berühmte Pariser Uraufführung mit Pfiffen goutiert wurde, bevor sich das bürgerliche Publikum in Tumulte und Handgemenge verlor. Adorno sprach in dieser Hinsicht vom „Tumultösen“.
Zahlreiche berühmte Tänzer:innen und Choreograf:innen haben sich seitdem daran gewagt, eine eigene Interpretation dieses Skandalstücks auf die Bühne zu bringen – von Mary Wigman, über Maurice Béjart bis hin zu Pina Bausch. In diese Tradition reiht sich auch die Kompanie Danza Contemporanea de Cuba (zu Deutsch: Zeitgenössischer Tanz Kubas) ein, die 1959 gegründet wurde, im Jahr, als Fidel Castros und Che Guevaras Revolution die US-Amerikanische Hegemonie von der karibischen Insel fegte.
Trotz der antiimperialistischen Doktrin des Landes fördert Miguel Iglesias Ferrer, der Direktor der Kompanie, nicht nur junge, kubanische Choreograf:innen, sondern setzt ebenso darauf, internationale Künstler:innen in die Produktionen einzubinden. Die Bühnenergebnisse sind folglich eine Kombination aus einem modernen amerikanischen Theater, afro-karibische Tanzstilen und klassischem europäischem Ballett. Hinzukommen avantgardistische Motive wie eben in „Consagración“, ein Mix aus afrokubanischem Tanz und Igor Strawinskys erwähntem „Frühlingsopfer“, den Danza Contemporanea de Cuba u.a. im Schauspielhaus Bochum aufführen.
Mit den Franzosen Christophe Béranger und Jonathan Pranlas-Descours fanden sich zwei Choreographen aus der modernen, europäischen Szene, welche die Partitur von „Le Sacre du Printemps“ als kubanische Version adaptierten. Wie in „Coil“ – einem, weiteren an diesem Gastspielabend gezeigten Stück – dreht sich „Consagración“ um das Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft. Und das betrifft vor allem jene auserwählte Jungfrau, die bei Strawinsky für einen ominösen Frühlingsgott geopfert wird. Dieses archaische Ritual wird in der kubanischen Version hinterfragt: als Opferung des gesamten Kollektivs.
Danza Contemporanea de Cuba | C: Christophe Béranger / Jonathan Pranlas-Descours | 9. & 10.12., jeweils 19.30 Uhr | Schauspielhaus Bochum | 0234 3333 5555
Autor
BENJAMIN TRILLING