Das freie Selbst
„Frei / Sein“ im Orangerie-Theater
Freiheit To Go. Gerade mal 70 Minuten brauchen Regisseurin Miriam Michel und die drei Schauspielerinnen Kübra Sekin, Charis Nass, Nadja Duesterberg, um dem Zuschauer das „Frei / Sein“ näherzubringen. Das „To Go“ wird durchaus wörtlich verstanden als theaterreflexives Aperçu: Jeder könne auch gehen, wenn er oder sie will. Aber der Reihe nach: Es gibt ein Außen an dem Abend, das sind drei Texte von Karl Rahner über Freiheit im Glauben, von Max Horkheimer über politische Freiheit und von Carl Friedrich von Weizäcker über Freiheit und Frieden. Und es gibt ein Innen in einem mit Vorhängen abgehängten Kabinett. Dort werden unter dem Titel „Hydra“ Texte des Schriftstellerkollektivs Nazis & Goldmund (Gerhild Steinbuch, Thomas Köck u.a.) über rechte Aktivitäten, Sprache und Intervention chorisch gesprochen. Doch die Schauspielerinnen tauchen bald auch in einem Bällebad unter oder trainieren auf einem Workout-Fahrrad. Im Innen und Außen trennt sich fatalerweise Reflektion von Engagement und Arbeit am Selbst.
Zentraler Fixpunkt des Abends ist allerdings die Neue Rechte als Bedrohung der Freiheit, die wiederum mit den Faschismus-Erfahrungen von Horkheimer, Rahner und von Weizäcker und mit Alltagsfreiheiten von Lieblingsessen bis zum Freiberuflertum kurzgeschlossen wird. Da passt vieles nicht zusammen oder ist schlicht nicht zu Ende gedacht. Der bewegendste Moment entsteht, wenn die gehandicapte Kübra Sekin erzählt. Hier öffnet sich plötzlich ein Kosmos: von der Freiheit im eigenen Körper, dem Theodizee-Problem bis zu Rassismus und Gewalt im Alltag – ein Moment, der viel zu schnell vorbeigeht.
„Frei / Sein“ | R: Miriam Michel | WA im Hebrst | Orangerie-Theater | 0221 952 27 09
Autor
HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN