Auf dem reichen Auge blind

Scheinchen ins Trockene, Foto: Yabresse / Adobe Stock

Auf dem reichen Auge blind

55 Milliarden Euro aus Staatskassen verloren

Begreifbar und darstellbar sei es nicht, was auf dem globalen Kapitalmarkt geschehe. Das sagte mir ein ehemaliger Intendant eines Ruhrgebiet-Theaters. Es ging um die Premiere eines Stücks, das schrill und schräg den Finanzströmen hinterherhechelte. Wie lässt sich Kapitalismuskritik denn noch auf die Bühne bringen, wenn wir die schwindelerregenden Transaktionen und die raffinierten Raubzüge gar nicht mehr verstehen? Das war die Krux, mit der sich der Intendant einst plagte. Völlig Unrecht hatte er nicht.

Zu abstrakt erscheint etwa der CumEx-Fall, als sich Finanzartisten und ihre Beraterentourage knapp 55 Milliarden aus den Staatskassen gönnten. Perfekt inszeniert. Denn genau genommen gab es keine Steuerhinterziehung, sondern über Kapitalertragssteuern einen direkten Griff in den Haushalt und damit in das Schwarze-Null-Sparschwein, das für die Daseinsvorsorge sein könnte. Die Aufregung war damals in Deutschland so groß, dass direkt Anklage erhoben wurde – gegen die JournalistInnen, welche die Finanzorgie aufgedeckt haben. Schröm und Co. lieferten Sprengstoff. Der zündende Diskurs fehlte.

Öffentliche Wut schüren nur Fälle, in denen einzelne Steuerhinterzieher ertappt werden, in denen das Verbrechen ein Gesicht erhält. Uli Hoeneß oder Thomas Middelhoff nahmen diese Rolle ein. Beide Manager wurden im Boulevardblatt ohne Nebensätze gescholten, um als jeweils geläuterter Paulus aus dem Knast zurückzukehren. Tolles Theater! Katharsis, Wendepunkt und ein überzeugtes Publikum. Wir sind deswegen auf dem reichen Auge blind, weil solche Prozess-Possen den Blick auf die systematischen Steuerraubzüge der Superreichen trüben.

Remakes solcher Ermittlungen füllen die Schlagzeilen dieser Tage: Aktuell schwirrt Spaniens Welt- und Europameister Xabi Alonso als Angeklagter durch die Medien. Ein anderer prominenter Vertreter , der Privatdetektiv Werner Mauss, brachte viel Glamour in das Bochumer Landgericht. Um 13 Millionen Euro soll er den deutschen Fiskus geprellt haben. Und das von einem, den Medien einst als wahren Geheimagenten im Dienste Bonns tauften. Anders als abgezocktes Thrillerpersonal kam Mauss bei all den Tarnidentitäten allerdings mit so manchen Sümmchen durcheinander. So viel Dramatik ließ auch die Kammer nicht kalt, die in ihrem Urteil Milde walten ließ. Originalkommentar des Vorsitzenden Richters: „Er hat immer versucht, das Verbrechen zu bekämpfen, und nicht, Verbrechen zu begehen“. Klingt fast nach Ödipus, der als antiker Theaterheld nicht weiß, welch schlimmes Verbrechen er begeht.

Solche Shows sind spektakulär. Keine Einwände. Aber wo bleibt das konsequente Vorgehen gegen Steuerraubzüge? Schließlich bedienen sich diese Global-Player üppig, da Steuerbeträge für diese Konzerne oft gering oder gar nicht anfallen. Auf dem Gerichtsparkett wird keiner dieser Mächtigen erscheinen. Sie bleiben unentbehrlich hinter den Kulissen.

Das beginnt bereits bei der Tarifflucht. Laut Berechnungen des DGB stibitzen Unternehmen durch fehlende Tarifbindung bescheidene 40 Milliarden Euro – 24,8 Milliarden fehlen den Sozialkassen, 14,9 Milliarden fielen ansonsten auf die Einkommenssteuer. Dieser komplexe Zusammenhang aus Tarif- aber auch Steuerflucht ließe sich nur schwer inszenieren. Aber die globalen Steueroasen haben existenzielle Kehrseiten: Umverteilung, fehlende Bildung, marode Infrastruktur, Zerstörung der Daseinsvorsorge, (Alters-)Armut. Abstrakt? Also: Runter mit dem Bühnenvorhang.


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Autor

BENJAMIN TRILLING

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