Athener Wald am Abgrund
„Ein Sommernachtstraum“ an der Oper Wuppertal
Sieben Homunkuli kriechen eine Schräge hoch und versammeln sich um ein Loch im Boden. Ist dies Akihito Tsukushis „Abyss“ oder der Krater auf einem fernen Planeten? Keine Ahnung, wohin es Shakespeares Athener Wald verschlagen hat, jedenfalls sind drei der Menschlein nun in (fast) korrekte elisabethanische Kostüme gekleidet und es rauscht los im Blätterwald ohne Bäume. „Ein Sommernachtstraum“ soll es werden und ein leicht dystopischer noch dazu. „Nun naht Hippolyta, die Hochzeitsstunde, mit Eil heran, vier frohe Tage bringen den neuen Mond.“ Ja, Theseus scheint schon noch im richtigen Shakespearschen Universum: Die Querelen zwischen Hermia, die Lysander liebt, aber auf Anordnung des ollen Herzogs von Athen Demetrius heiraten soll, der dagegen abgöttisch von Helena geliebt wird, aber nix von ihr wissen will, sind textgetreu. Und es geht auch folgerichtig weiter: Die „glorreichen“ Vier treffen im Wald nicht nur auf Handwerksburschen, die ein Stück im Stück (Ovids Sage von Pyramus und Thisbe) proben wollen, sondern auch auf die beiden Fabelgötter Titania und Oberon, die sich wegen eines Knaben fetzen, und Oberons Elf Puck, der alles magisch kunstvoll ineinander rührt.

DIE OPER: Das Wuppertaler Opernhaus befindet sich in einem denkmalgeschützten Bau aus dem Jahre 1905, der ursprünglich das Stadttheater Barmen beherbergte. Intendant ist seit 2016 ist Berthold Schneider, Generalmusikdirektor ist Patrick Hahn. Foto: © Andreas Fischer
Die Konstellation scheint nicht weit von Athen, doch erstaunlicherweise tauchen nun mit Puck silbrige Schlangen aus dem tiefen Abyss auf – sind wir etwa im Land der Raketenwürmer? Das blutige B-Movie-Szenario schüttle ich jetzt schnell aus dem Kopf und zwinge mich zur postmodernen Analyse und der visuellen Dekonstruktion. Maja Delinić inszeniert eine überaus witzige Kostümwechselorgie; die inzwischen neun Homunkuli schlüpfen dabei in bis zu fünf Rollen, vom großkotzigen Herrscher zum tumben Schneider. Die futuristische Szenerie (Ria Papadopoulou) ist stets vernebelt – kein Wunder, Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll auf fremden Planeten erzeugen wohl ziemlich viel Feuchtigkeit. Delinić persifliert die zum Teil überholten Inhalte der Komödie, so führt die Beziehung zwischen ihrem Puck mit Hasenohren (Kevin Wilke) und Oberon mit Fußproblemen (Konstantin Rickert) meist zu ziemlich grotesken Szenen, die dem König der Elfen nicht zum Vorteil gereichen – selbst die Übergabe des halluzinogenen Alkaloids (Es war die Pilzsuppe!) gerät zur griffigen Posse mit Schleife.
Dieses Possenspiel funktioniert bei den schauspielernden Handwerkern nicht. Ihre Szenen sind manchmal des Guten zu viel, wenn sie den übertriebenen Humor in Richtung platten Klamauks verlassen. Gerade am Schluss konterkariert dies die witzige Inszenierung. Vorher wird noch alles aufgelöst, Titania erlöst, die Liebespaare mystisch zusammengeführt. Die Raketenwürmer sinken ins Loch zurück, die Kostüme fallen und die Homunkuli sind zurück. Puck deklamiert noch den letzten Text: „Wenn wir Schatten euch beleidigt, O so glaubt und wohl verteidigt, sind wir dann ihr alle schier, habet nur geschlummert hier.“ Doch eins kann man mit Sicherheit sagen: Geschlummert hat bei der Premiere niemand. Der Applaus kommt erst zögerlich, dann vehement bis zum Klatschmarsch. Wie sagt man in Wuppertal? Wupp-di-ka? Ich glaub’, ich nehm’ die Pilzsuppe.
Ein Sommernachtstraum | 8.3. 18 Uhr, 9.3. 19.30, 13.3. 16 Uhr | Opernhaus Wuppertal | 0202 563 76 66
Autor
Peter Ortmann