Ans Kreuz mit dieser Staatstragikomik

Vom Kreuz in den Kreuzweg: Ulrich Wickermann als ElderStatesman, Foto: Jakob Studnar

Ans Kreuz mit dieser Staatstragikomik

Paybackpunkte sei Dank, Theater trotz Krise. „Leonce und Lena“ in Moers – Auftritt 05/16

Here we are now. Entertain us.Soweit ich mich erinnern kann, kam Nirvana im Stück nicht vor, das buddhistische Nirwana irgendwie schon, oder zumindest der Versuch, dahin zu gelangen. Und das war kein survival oft he hippest, das war harte Grenzerfahrung, auch mal Opfer für die ganze Geopolitik zu sein, da wird der Führer/König/Hofstaat/Teufel/dicke Hose (wer sonst als Ulrich Wickermann?) auch schon mal ans Kreuz geschlagen: „Manchmal muss man Opfer bringen“, selbst wenn im Hintergrund ein Video schicke Schloss-Versailles-Träume suggeriert.

Toll, nicht? Worum geht es eigentlich? Um Theater im Sinne von „Bleiben sie ruhig sitzen, so lang ist der Abend gar nicht“ (später mehr), um Verpackungskultur, den äußeren Schein, die Scheinwelt um uns herum und um eine Zukunft, von der Georg Büchner bereits in jungen Jahren wusste, dass sie nur sehr schwer zu erreichen sein wird – nun, er ist ja leider auch jung gestorben. Aber diese Dystopie hat er noch losgetreten, verpackt in ein komödiantisches Pseudo-Einerlei, heute mal entschlackt und unter schwindelnde Drogen gesetzt von Björn Gabriel. Er inszeniert „Leonce und Lena“ wie auf dem Kirmes-Karussell, nur dass es im Moerser Schlosstheater so lala gut ausgeht, irgendwie jedenfalls. Also doch kein negativer Ausgang?

Nach dem aristokratischen Golgatha Berg für die Moerser Kunstfigur „Elder Statesman“ – ich hoffe mal nicht, dass da auch Ämter-Protagonisten der Heiligen der Letzten Tage Pate gestanden haben – kommt bei Gabriel das Büchner-Intro mit Neil-Young-Riffs aus „Dead Man“. Cowboystiefel sind in den Kostümen vorhanden, nur die Langeweile macht alle fertig. Da hilft auch kein Büchner-Märchen aus „Woyzeck“ mehr, der Hafen ist umgestürzt im Königreiche Popo: „Mein Leben gähnt mich an wie ein großer weißer Bogen Papier, den ich vollschreiben soll, aber ich bringe keinen Buchstaben heraus.“ Prinz Leonce (Matthias Heße zum Wegschreien in hautenger Goldhose mit Pelzmantel) soll nun Prinzessin Lena (Marissa Möller) heiraten, ein Aufruhr tritt in sein Leben, selbst der treue aber eigentlich latent arbeitsscheue Diener Valerio (Patrick Dollas) rät zur Flucht. Doch wie? Das Schloss, das Königreich ist ein einziger Überwachungsstaat. Anna Marienfeld, Tilman Oesterreich, Björn Nienhuys filmen was die Kamera hergibt, Schaukelpferde hinter der Bühne, aufreizende Szenen, die geheimen Wünsche und Gespräche der Protagonisten. Kein Wunder, dass sich hier der Frust in Wunschdenken manifestiert und dennoch, eine Flucht gibt es nicht, durfte man bei Büchner noch ins Dolce Vita Italien, drücken sich hier die kommenden Paare mehr im Schlossgraben herum. Statt Pleasure-Dome erstmal nur Drugs ohne (naja, irgendwie schon) Sex, aber mit Martin-Luther-King-Zitaten. Rock und Roll ist sowieso immer anwesend.

Doch die Körper, die niemals leben wollten, weil sie nur noch bloße Materie und Marionettenwaren, die nur noch vom eigenen Willen in Bewegung gesetzt wurden – das waren die berühmten Automaten, die Büchner eigentlich erst am Ende auftreten lässt. Das Karussell dreht sich hier immer weiter rund herum, und was seltsame Gestalten sich da jagen. „Ich kann nicht.“ Das war in der Inszenierung keine Aussage, die häufig über die Rampe fiel. Wollen, immer geht es nur um Wollen. Und nicht darum, freiwillig in der Lohnknechtschaft zu enden. Doch alles scheint eh arrangiert von Oben, von der Macht über uns, dem Über-Ich (Anna Marienfeld), dem sich nur der Elder Statesman mit seiner wechselnden Persönlichkeit zu widersetzen versucht. Magic Moments. Itzo. Der Epoche wird Genüge getan, dem Versmaß auch, und doch – der Kopf ein leerer Tanzsaal, die Welt nur noch ein Gerüst? Wo soll das enden? In Selbstmord statt gesundem Schlaf. Lena und Valeria (Magdalene Artelt) braten erstmal Spiegeleier. Es qualmt und riecht im faulen Überwachungsstaat. Dann noch die berühmten Kussszenen Hollywoods, mit Liebe wird hier nicht geworfen. Mit Lauch statt Blumen aber gern. Zumindest im Schattenspiel, das vorüberzieht. Doch Schattenspiel trifft es in Moers nicht ganz. Denn die im Schatten sieht man nicht, man ahnt sie nur, selbst wenn das Spiel hinter der Bühne castorfianisch filmisch nach vorn geholt wird.You say you want a revolution? Well, you know, we all want to change the world.Ihr spielt Theater, aber wir gehen nach Hause. Nach einem großen Abend.

„Leonce und Lena“ | R: Björn Gabriel | Do 26.5. 19.30 Uhr, So 29.5. 18 Uhr | Schlosstheater Moers | 02841 883 41 10

Peter Ortmann

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