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„Zurück zum Sonntagsbraten“

22. Dezember 2016

Peter Röhrig vom Bund ökologische Lebensmittelwirtschaft über Biofleisch – Thema 01/17 Biokost

trailer: Herr Röhrig, eine Studie der britischen Food Standard Agency besagt, Bionahrung enthalte nicht mehr Nährstoffe als konventionell hergestellte Lebensmittel. Andere Studien behaupten das Gegenteil. Ist Biofleisch gesünder als konventionelles?
Peter Röhrig: Es gibt ein breites Meinungsspektrum, ob Biolebensmittel besser sind. Fakt ist, dass Biofleisch weniger Wasser enthält und mehr Substanz hat, weil die Rassetiere langsamer wachsen als die schneller gemästeten Hybridtiere in konventioneller Haltung. Da hat man mehr Fleisch in der Pfanne.

Fleisch aus Massentierhaltung schrumpft in der Pfanne – ist es ungesünder?
Wer Fleisch isst, möchte, dass es gut schmeckt und gesund ist. Bei Biofleisch ist Genussvoraussetzung, dass die Tiere ordentlich gehalten werden, was in Deutschland der Fall ist.

Auch bei biologischer Tierhaltung werden Antibiotika gegeben, darunter solche, die zu Resistenz beim Menschen führen. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit hat die Menge der 2015 abgegebenen Antibiotika nach unten korrigiert. Schönfärberei?

Peter Röhrig
Foto: Presse
ZUR PERSON: Peter Röhrig (45) ist Geschäftsführer beim Bund ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Der Agrarwissenschaftler beschäftigt sich mit ökologischem Land- und Pflanzenbau sowie Gentechnik.


Die Statistik zeigt, dass die Menge der abgegebenen Antibiotika nach unten geht. Auch haben die Medikamente keine so hohen Wirkstoffmengen mehr. Die Gesamtstatistik ist zu hinterfragen: Was steht auf dem Papier, was ist real? Bei Biotierhaltung sind Antibiotika streng reglementiert, dürfen nur einmal im Jahr gegeben werden. Für Tierhalter ist wichtig, dass kranke Tiere Medikamente bekommen können. Allerdings liegt deren Einsatz deutlich unter der von konventioneller Tierhaltung. Daher rufen sie auch weniger Resistenzen hervor.

Verbraucher erleben Desillusionierung: Biobauern verwenden auch Antibiotika. Tiere haben nur eine bestimmte Menge Platz im Stall. Ist Biofleisch „nur ein bisschen besser“ als konventionelles Fleisch?
Die Biobewegung ist angetreten, weil die Belastungsgrenze der Erde überschritten ist. Sie nimmt eine sehr dynamische Entwicklung in der Agrar- und Ernährungslandschaft. Es gibt ein eigenständiges Kontrollsystem, jeder Betrieb wird einmal jährlich gecheckt. Die Tiere sind keine Hybridrassen. Es gibt die Kennzeichnung von Biofleisch. Es herrscht Transparenz. Verbraucher können engagiert mitgestalten. Die Biobewegung ist vor 100 Jahren mit einer Entwicklungsaufgabe angetreten. Wir sind noch nicht dort, wo wir hinwollen, aber es wurde vieles erreicht.

Sind utopische Vorstellungen der anfänglichen Biobewegung nicht zu realisieren?
Die wesentlichen Punkte sind: Ökologische Landwirtschaft verwendet keine Pestizide, keinen Mineraldünger, geht sorgfältig mit Dungausstreuung um. So wird die Nitratbelastung des Grundwassers vermieden. Durch den Verzicht auf Unkrautvernichtungsmitteln wird die Biodiversität gewahrt. Bei biologischer Tierhaltung haben die Tiere mehr Auslauf, Einstreu und natürliches Licht im Stall. Geflügelschnäbel und Schweineschwänze werden nicht gestutzt. Sie haben definitiv bessere Umstände.

In Österreich ist der Verbraucherwunsch nach Bio-Nahrung höher als in Deutschland. Spielen Mentalitätsaspekte mit?
In Deutschland gab es eine starke Entwicklung im Discountbereich. Lebensmittel sind sehr billig, so dass sich Maßstäbe verschoben haben. Bionahrung ist eine Gegenbewegung, bei der Qualität relevant ist. Sie erlebt große Nachfrage und dynamisches Wachstum. In Österreich herrscht eine andere Mentalität, es bestehen auch wesentlich größere Bioanbauflächen.

Bei Bio-Geflügel gibt es Farmen mit bis zu 30.000 Hühnern. Dies soll auf 3.000 begrenzt werden. Die Auslauffläche soll jedoch von 4 auf 2,5 qm reduziert werden. Irreführung des Verbrauchers?
Heute kommt jedes 10. gekaufte Ei aus Biogeflügelhaltung. Jedes Biohuhn hat Auslauf, Platz im Stall, natürliches Licht und Biofutter. Die 30.000 stellen eine Ausnahme dar. Deutschland hat einen Vorschlag eingereicht, das EU-Biorecht weiterzuentwickeln. Die Auslaufdistanz soll von derzeit erlaubten 350 auf 150 m reduziert werden, damit die Hühner nicht so weit gehen müssen. Die Reduktion der Auslauffläche soll der Regeneration der Grasdecke dienen, die bei intensiver Nutzung zerstört wird. Die Verbesserung des Auslaufmanagements stellt keine Einschränkung der Tiere dar.

Wie wird sich die Fleischproduktion (aktuell 37 kg/Jahr pro Verbraucher) in Zukunft gestalten?
Bei der derzeitigen Fleischproduktion ist die Umweltbelastung der Erde zu hoch. In westlichen Ländern werden riesige Mengen pflanzlicher Rohstoffe nur für Fleischproduktion hergestellt. Wir brauchen mehr Klasse statt Masse: zurück zum Sonntagsbraten. Wir brauchen eine andere Kostenstruktur und andere Konsummuster. Biofleisch ist gesundheitlich empfehlenswert. Vor allem spiegelt es den wahren Preis wieder. Wir müssen Fleisch ausgewählter kaufen und bewusster damit umgehen, um die Umweltbelastung zu reduzieren.

Während Deutsche aus ethisch-ökologischen Gründen weniger Fleisch essen, essen Chinesen mehr, weil sie es sich jahrzehntelang nicht leisten konnten. Wird der Fleischkonsum weltweit steigen?
De facto hat Deutschland bei den Verzehrzahlen ein konstant hohes Niveau. Die zukünftige Dynamik ist problematisch. Für die Ärmsten der Armen werden Lebensmittel unerschwinglich. Wir können schwerlich den Chinesen sagen, dass sie kein Fleisch essen dürfen. Die Lösung ist, die wahren Preise mit den ökologischen und sozialen Folgekosten aufzuzeigen. Die Umweltfolgekosten gehören notwendig in den Preis hinein.

Ist Werbung für den Verzehr von Insekten ein Indiz, dass Fleisch in Zukunft nicht mehr leistbar sein wird?
Der hohe Fleischkonsum schafft massive Umweltprobleme, etwa durch Ammoniakausgasung. Verzehr von Insekten ist eine ernährungskulturelle Frage, aber bei uns keine breitere Bewegung und daher nicht relevant. In anderen Kulturen ist der Verzehr von Insekten verankert und bildet dort eine gute Nahrungsgrundlage.

Der Marktanteil von Biofleisch beträgt weniger als 2% des Gesamtverbrauchs. Ist das Thema eine Scheindebatte?
Bei Bioeiern und -milch liegen die Anteile wesentlich höher. Beim Biofleisch ist der hohe Preisabstand ausschlaggebend. Konventionell produziertes Fleisch ist zu billig. Die Tiere werden schlecht gehalten. Die Umweltfolgekosten etwa bei Wasser und Feinstaub trägt die Gesellschaft. Biofleisch vermeidet dies. Es gibt keine Alternative zu diesem Weg. Das Bio-System funktioniert und hat daher gute Voraussetzungen.


Lesen Sie weitere Artikel 
zum Thema auch unter: choices.de/thema und engels-kultur.de/thema

Aktiv im Thema

www.bio-mit-gesicht.de | Qualitätsinitiative verschiedener ökologischer Landbauverbände, mit der Produkte gezielt bis zum Erzeuger zurückverfolgt werden können
biodukte.de | deutschlandweites Verzeichnis für Bio-Supermärkte, -Wochenmärke und Hofläden
www.tasteofheimat.de | gemeinnütziger Verein mit Sitz in Köln und Online-Plattform für Verbraucher. Bietet u.a. eine deutschlandweite Übersichtskarte mit regionalen, tierfreundlichen und bäuerlichen Lebensmittelerzeugern

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