Noell lebt mit seiner Mutter. Er wirkt wie ein kleiner Junge, ist aber schon 22 Jahre alt. Eines Nachts geschieht „Der Umfall“ und seine „Mumsel“ liegt leblos auf dem Boden. Sie muss ins Krankenhaus, er wird nach Neuerkerode in Niedersachsen gebracht – einem vor 150 Jahren gegründeten Dorf für Menschen mit „geistiger Behinderung“. Dort lernt Noell eine ganz neue Welt kennen. Hier muss er sich mit den anderen Mitbewohnern auseinandersetzen, hier sind aber auch Menschen, die Verständnis für ihn zeigen. Mikael Ross gelingt es mit dynamischen, farbigen Zeichnungen und einer einfühlsamen Dramaturgie, die nicht aus übertriebener Angst vor Unkorrektheit scheut, Noells Perspektive mit Humor zu vermitteln (avant-verlag). Mit „Der Schwindler“ hat Pascal Rabaté „Ibykus“ von Tolstoi – nicht dem bekannten Leo, sondern dem unbekannteren Alexei – adaptiert. Der „Roman eines Revolutions-Abenteurers“ erzählt satirisch die haarsträubende Odyssee eines Opportunisten und Kriegsgewinnlers, wie er im Buche steht. Das monströse Werk umfasst über 700 aufwändig gezeichnete Seiten. Die illustre und oft actionreiche Story ist kurzweilig, aber auch leicht verstörend, weil einem die amoralische, jedoch nicht boshaft geschilderte Hauptfigur näher ist, als es einem lieb ist. Ein faszinierendes Epos über einen Hochstapler ohne Werte (Schreiber & Leser).
Eine wilde Odyssee zwischen Verrat und Verbrechen erleben auch May und Eugene in „Bastard“. Die Mutter hat nicht nur einen Sohn auf ihrem Roadtrip dabei, sondern auch viel Geld im Koffer und einige Killer an den Fersen. Max de Radiguès kleinformatiges, knapp 180 Seiten umfassendes Genrestück wirkt schnoddrig und beiläufig, entfaltet aber ungeahnte emotionale Tiefe und hat einige Twists in der Hinterhand (Reprodukt). Am Rande der Legalität wandern in „Langfinger & Wackelzahn“ zwei Jugendgangs, die ihre Hauptquartiere gegenseitig zerstören. Eigentlich hat hier aber jeder einzelne schon genügend Probleme. Erwachsene kommen nicht vor, die kaputten Teenager sind am Ende eher sympathische Loser, die ihren Weg suchen. Michel Esselbrügge zeichnet sein außergewöhnliches Szenario mit Punk-Attitüde und baut irritierende surreale Elemente à la Charles Burns ein (Rotopol).
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Spurensuche
Comics zwischen Wirklichkeit, Fantasie und Spektakel – ComicKultur 03/24
Gertrude, Celeste und all die anderen
Progressive Frauen in Comics – ComicKultur 02/24
Held:innen ohne Superkraft
Comics gegen Diktatur und Ungerechtigkeit – ComicKultur 01/24
Ernste Töne
Neue Comics von Sfar, Yelin und Paillard – ComicKultur 12/23
Ausstellung in Buchformat
Wenn jedes einzelne Panel im Comic einem Kunstwerk gleicht – ComicKultur 11/23
Comic und Film Hand in Hand
Von, für und über Erwachsene – ComicKultur 10/23
Klaustrophobische Comics
Eingerahmter Existentialismus zwischen Leben und Tod – ComicKultur 09/23
Großalarm für Otakus
Manga Day 23 – Literatur 09/23
Zwiespältige Helden
Geschichten aus anderen Zeiten – ComicKultur 08/23
Große Werke bei kleinen Verlagen
Comics sind nach wie vor ein Risikogeschäft – ComicKultur 07/23
Rotes Blut, roter Staub
Graphic Novels mit cineastischen Bezügen – ComicKultur 06/23
Quietschbunte Gewalt
Von starken Frauen und korrupten Männern – ComicKultur 05/23
Von Minenfeldern in die Ruhrwiesen
Anja Liedtke wendet sich dem Nature Writing zu – Literaturporträt 04/24
Wortspielspaß und Sprachsensibilität
Rebecca Guggers und Simon Röthlisbergers „Der Wortschatz“ – Vorlesung 03/24
Lebensfreunde wiederfinden
„Ich mach dich froh!“ von Corrinne Averiss und Isabelle Follath – Vorlesung 03/24
Das alles ist uns ganz nah
„Spur und Abweg“ von Kurt Tallert – Textwelten 03/24
Wut ist gut
„Warum ich Feministin bin“ von Chimamanda Ngozi Adichie – Vorlesung 03/24
Unschuldig bis zum Beweis der Schuld
„Der war’s“ von Juli Zeh und Elisa Hoven – Vorlesung 02/24
Verse der Intersektionalität
Audre Lorde-Workshop im Fritz Bauer Forum – Literatur 02/24
Das Drama der Frau um die 50
„So wie du mich willst“ von Camille Laurens – Textwelten 02/24
Sprachen der Liebe
„So sagt man: Ich liebe dich“ von Marilyn Singer und Alette Straathof – Vorlesung 02/24
Umgang mit Krebserkrankungen
„Wie ist das mit dem Krebs?“ von Sarah Herlofsen und Dagmar Geisler – Vorlesung 01/24
Schlummern unterm Schnee
Alex Morss’ und Sean Taylors „Winterschlaf – Vom Überwintern der Tiere“ – Vorlesung 01/24