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Icíar Bollaín bei den Dreharbeiten zu „El Olivo“
Foto: © Jose Haro/Piffl Medien

„Ein Film über das heutige Spanien“

28. Juli 2016

Regisseurin Icíar Bollaín über ihren neuen Film „El Olivo – Der Olivenbaum“ – Gespräch zum Film 08/16

Icíar Bollaín wurde 1967 in Madrid geboren und lebt heute mit ihrem Ehemann, dem Drehbuchautor Paul Laverty, der auch das Drehbuch für „El Olivo“ schrieb, in Schottland. Auf die Idee für den Film kam Laverty, als er einen Artikel über die Reise eines über 1000 Jahre alten Olivenbaums las, der von Spanien in den Norden Europas verschickt wurde, um das Foyer eines Großkonzerns zu schmücken. In diesem modernen Märchen finden die unterschiedlichsten Themen Platz wie etwa Natur, Kultur, Verwurzelung, Wirtschaftsboom und -krise und nicht zuletzt das heutige Spanien.

trailer: Frau Bollaín, Ihr neuer Film „El Olivo – Der Olivenbaum“ erzählt von einer jungen Spanierin, die den Olivenbaum ihres Großvaters, der mittlerweile die Firmenzentrale eines deutschen Konzerns ziert, zurück nach Spanien holen will. Warum gerade Deutschland?
Darüber haben Paul Laverty, der das Drehbuch geschrieben hat, und ich während der Drehbuchphase lange diskutiert. Diese Olivenbäume sind überallhin auf der Welt verkauft worden, bis hin nach China. Das allerdings kam für uns nicht in Frage: Wir wollten einen Ort, der in Europa lag und zwar so weit weg, dass die Reise als zentrales Element der Geschichte dabei funktionierte. Deutschland hat für die Spanier eine größere Bedeutung als etwa die skandinavischen Länder: In den sechziger Jahren kamen viele Spanier als ‚Gastarbeiter’ hierher, jetzt gehen wieder viele junge Leute nach Deutschland – und aus Deutschland kommen umgekehrt die ökonomischen Maßnahmen, mit denen wir zu leben haben. Da unser spanischer Produzent schon vorher mit The Match Factory, einem Kölner Produzenten und Weltvertrieb, zusammengearbeitet hatte, lief das ziemlich reibungslos.

Die Szenen im Inneren des deutschen Energiekonzerns haben Sie in einem der großen Studios in Nordrhein-Westfalen gedreht?
Nein, wir fanden ein Gebäude, 80 km von Düsseldorf entfernt, in Gelsenkirchen, bei dem es sich um das Rathaus handelte.

Dort errichteten Sie dann einen weiteren der künstlichen Olivenbäume, die Soe für den Film anfertigen ließen?
Ja. Das Rathaus hätte ihn übrigens gern behalten, aber sie benötigten den Raum, den er einnahm. Er wurde dann von einer deutschen Firma erworben.

Ihre Protagonistin Alma ist sehr eigenwillig, bis hin dazu, dass sie ihre Freunde belügt, damit sie mit ihr auf die Reise nach Deutschland gehen. Das birgt gewisse Widerhaken für die Identifikation des Zuschauers.
Im Drehbuch war sie noch bestimmter! Mir gefiel diese Figur, denn wir sind nicht hundert Prozent perfekt. Als ich Anna Castillo besetzte, wurde sie ambivalenter, denn sie hat neben ihrer rauen Seite auch eine sehr charmante.

Sie haben sie einmal mit Don Quichotte verglichen. Das ist für Spanier immer noch eine wichtige Figur, nehme ich an?
Ja, der Begriff ‚Quijotana’ ist sehr geläufig für Unterfangen, die unmöglich erscheinen.

Wie schwer war es, ein Ende für die Geschichte zu finden? Sie hätte märchenhaft enden können, mit einem vollkommenen Triumph Almas, oder aber mit einer vollkommenen Niederlage. War die Ambivalenz des jetzigen Endes immer schon klar?
Nein, einen befriedigenden Schluss zu finden, ist Paul in der Tat schwergefallen. Jetzt ist es so, dass Alma am Ende mit etwas ganz Kleinem zurückkommt, in dem gleichwohl eine große Hoffnung steckt.

Im Film nutzt Alma die sozialen Medien, um ihrem Protest eine breitere Basis zu geben. War das für Sie und Paul Laverty Neuland oder sind Sie damit vertraut? Ich vermute, Ken Loach, für den Paul Laverty sehr viele Filme geschrieben hat, ist es nicht.
Wir sind da ebenfalls ein wenig prähistorisch, ich habe auch keinen Facebook-Account. Aber wir wissen um die Bedeutung, gerade wenn es darum geht, Informationen schnell zu verbreiten. Das haben wir auch bei der Werbung für diesen Film genutzt, wo wir mit Umweltorganisationen zusammengearbeitet haben. In Düsseldorf sprachen wir mit einem jungen Aktivisten, der sagte, dass es kein Problem wäre, auf diese Weise in kürzester Zeit 200-300 Leute zu mobilisieren.

Im Film gibt sich der deutsche Energiekonzern ein umweltbewusstes Image durch den Olivenbaum in seiner Firmenzentrale. Wie sieht das in Spanien aus?
Dort gibt es in der Tat sehr viele Unternehmen, die einen dieser Olivenbäume im Foyer haben, so wie wir es im Film zeigen. Der größte Gasversorger im Baskenland hat gleich vier davon (allerdings kleiner als die in unserem Film) in seinem Hauptquartier stehen – das haben wir jedoch auch erst nach unserem Film erfahren.

Anders als in anderen Ländern sind in Spanien die Olivenbäume nicht gesetzlich geschützt davor, gefällt und ausgegraben zu werden. Könnte sich das durch den Film ändern? Hat er eine entsprechende Debatte ausgelöst?
In Valencia wurde das mittlerweile durchgesetzt, aber in Catalina, 20 km davon entfernt, wo wir drehten, noch nicht.

Wie arbeiten Sie mit Ihrem Ehemann Paul Laverty, der nicht zum ersten Mal das Drehbuch für einen Ihrer Filme geschrieben hat, zusammen?
Man kann ihm nicht sagen: ich möchte dies und dies im Drehbuch drin haben. Er schreibt, ich lese es und mache dann meine Vorschläge. Das machen wir bei jeder Drehbuchfassung so, und so arbeitet er im Übrigen auch mit Ken Loach.

Wenn Paul ein Drehbuch schreibt, ist immer schon klar, für welchen Regisseur das ist?
Ja. In diesem Fall wollten wir wieder einen Film zusammen machen. Er stieß auf die Geschichte mit den Olivenbäumen, das passte zu meinem Anliegen, einen Film über das heutige Spanien zu machen.

Sie haben ihn bei den Dreharbeiten zu Ken Loachs Film über den spanischen Bürgerkrieg, „Land and Freedom“, kennengelernt, bei dem Sie als Schauspielerin mitwirkten. Was haben Sie von Ken Loach, etwa was die Arbeit mit den Darstellern anbelangt, gelernt?
Seine Arbeit ist sehr inspirierend für mich, nicht nur in seiner Arbeit mit Schauspielern, sondern auch im Umgang mit Laiendarstellern und dem Raum, den er ihnen gibt, sich zu entfalten, ohne von dem technischen Apparat eingeschüchtert zu werden, ebenso, wie er aktuelle Probleme in seinen Filmen angeht. Aber es gibt auch Unterschiede: ich probe mit meinen Schauspielern, während er ja oft mit einem Überraschungseffekt arbeitet und ihnen bestimmte Informationen vorenthält. Er ist auch recht puristisch, was den chronologischen Dreh anbelangt – und wenn eine Geschichte in Liverpool spielt, arbeitet er mit Darstellern von dort.

Die Parlamentswahlen kürzlich in Spanien haben nicht den erhofften Sieg der Bürgerbewegung gebracht, die konservative Regierung bleibt im Amt…
Das ist schlimm, denn die ist für so viel Korruption verantwortlich und findet keine Auswege aus der ökonomischen Krise. Ich kann nicht nachvollziehen, warum sie nicht abgewählt wurde. Ich selber lebe seit vier Jahren in Schottland, wo mein Mann herkommt und weil unsere Kinder dort zur Schule gehen sollten, aber in meinen Filmen wird Spanien immer die erste Priorität haben.

Interview: Frank Arnold

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