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Give it to me baby – Helge Salnikau als Peer Gynt 3
Foto: Sandra Schuck

Die heimliche Macht der Trolle

26. November 2015

Romy Schmidt, neue Chefin im Prinz Regent Theater, inszeniert folgerichtigen „Peer Gynt“ – Auftritt 12/15

Wer heute mal das neue Bochumer Prinz Regent Theater besucht, sollte immer genug Bargeld dabei haben. Jedenfalls wenn er eine Eintrittskarte für „Peer Gynt“ besitzt. Denn bereits vor der Vorstellung kann man sich auf der Bühne die ein oder andere Requisite anschauen, die nach dem imaginären Vorhang auch im Stück gekauft werden kann. Ich weiß nicht, wie das juristisch aussieht mit einem öffentlich angenommenen Angebot, der Kauf von Helge Salnikau als Peer Gynt im schicken Feinripp in der Vitrine wäre mit Sicherheit sittenwidrig, obwohl ein interessanter Gedanke.

Dreams are my reality. Richards Sandersons Ohrwurmzeile ist jedenfalls der durchgehende Subtext hinter der Kurzversion von Dramaturg Frank Weiß und Regisseurin Romy Schmidt, die mit vier Schauspielern auskommen wollen, dafür rigoros gekürzt, geknetet und fürs Trollische mit Gummibändern rumgespielt haben. Die Performance über Peers Leben in einer Installation statt Bühnenbild (Sandra Schuck) jedenfalls heizt den Verkauf der Devotionalien zwischen erbeutetem Schaf und unechtem Geschmeide (aber bestimmt eigenhändig von Per Gynt signiert) kaum an. Gut, dass es da den Telefonbieter aus Norwegen gibt, der allerdings nicht genannt werden will. 700 Euro für einen gebrauchten Trollschwanz wollte im Publikum auch niemand geben – und ich hatte mal wieder meine EC-Karte vergessen. Wann wird so eine Gelegenheit wiederkommen?

Ansonsten läuft alles wie immer bei Henrik Ibsen (ab und zu sogar mit Edvard Griegs Bühnenmusik). Peer Gynt, der Aufschneider, der Frauenheld, der Träumer, der Angeber, erklimmt auf der Flucht vor den Dörflern das Luftschloss-Gerüst in der Mitte der Bühne. Auf der obersten Rah des Lebens steht er da und blickt als einziger über den Horizont der Armseligkeit. Großbauer wollte er nicht, Solvejg konnte er noch nicht, für sie baut er Schlösser aus Holz in den Schnee und verlässt sie eben. Helge Salnikau lässt Peer Gynt gut aussehen, ein Held des blanken Scheins, schon damals (1867) eine ziemlich moderne Haltung mit Weitblick. Im selben Jahr wird nicht nur Alaska für ein paar Felle verkauft, auch der erste Band von Karl Marx‘ „Das Kapital“ erscheint. Kein Wunder also, dass die Scheinheiligkeit bis heute einen hohen Stellenwert hat, und die neue Prinz-Regent-Chefin Romy Schmidt lässt die ein Publikum spüren, für die schon ein paar geklickte Likes (von wem auch immer) die Welt bedeuten. Peer jedenfalls stellt sich mit seinem Troll-geschärften gyntschem Ich der Außenwelt und dringt in den Markt, der zu seiner Zeit den schnellen Profit verspricht: Sklavenhandel. Dabei ist choreografisch auch Michael Jackson – Araber, die singende Memnonssäule oder auch Master Cotton (Jerry?) fehlen in der Prinz-Regent-Version zu Recht, die Zelle im Irrenhaus in Kairo mit seinem Chef Professor Dr. phil. Begriffenfeldt habe ich immer gemocht wie die Figur des Krummen: („Peer mach einen Umweg“). Alles weg, doch quälen sollte das nur die Puristen oder den ein oder anderen Bachelor-Deutschlehrer. Lasst uns lieber alle Trolle sein oder Kapitalisten werden, den Knopfgießer Löffel kann man ja in der Elderschen Versteigerung für geschätzt schlappe 1.500,00 Euro kaufen, was kann denn da noch passieren, den haben ja dann wir.

„Give it to me baby“.Peer Gynt ist unser Held, geboren zu Hägstad von der Mutter Aase, zum Kaiser geworden in Ägypten, verfolgt vom Knopfgießer, gerettet von der Jungfrau Solvejg. Die Vita ist o.k., hört sich verdächtig geklaut an, aber das nennt sich heute ja eher samplen. Romy Schmidt hat den alten Ibsen genauso behandelt, mit Respekt, aber ohne Ehrfurcht. Die Handlung rauscht vorbei, vieles bleibt in einem absurden Nebel verborgen, doch Aases Tod im ersten Drittel war sicherlich ein emotionales Highlight, ob alles ans Publikum verkauft wird? Der Markt wird das schon richten, oder Corinna Pohlmann, sie hat Solveig drauf und Ingrid und es reichen ihr dafür ein paar Kleiderwechsel. Für die „hässliche“ Tochter des Dovre-Alten helfen ein paar bereits erwähnte Gummibänder, Pohlmann ist auch die Jungfrau in der Oase und der Kapitän. „I am what I am“, die einstige Gloria-Gaynor-Hymne der Lesben und Schwulen hat heute für uns alle Bedeutung. Denn wir sind definitiv nicht mehr die, die wir eigentlich sein wollen, und das muss nicht zwangsläufig ein trolliger Peer sein.

„Peer Gynt“ | R: Romy Schmidt | Fr 11.12., So 13.12., Fr 18.12., Sa 19.12. 19.30 Uhr | Prinz Regent Theater Bochum | 0234 77 11 17

Peter Ortmann

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