Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
25 26 27 28 29 30 31
1 2 3 4 5 6 7

12.554 Beiträge zu
3.784 Filmen im Forum

Blutrot leuchtet das Lustschloss vor dem Untergang
Foto: Jörg Brüggemann / Ostkreuz

Die Erde dreht sich immer nach Osten

29. November 2018

Johan Simons inszeniert in Bochum „Die Jüdin von Toledo“ – Auftritt 12/18

Das Stück beginnt mit einer Sirene, die eine Katastrophe ankündigt, es endet mit einem Blick in eine völlig zerstörte Stadt. Dazwischen liegt Krieg, nichts als Krieg. Zwischen Menschen, zwischen Völkern, zwischen Weltanschauungen – und egal in welche Richtung man auch schaut, Zweifel, Zwietracht, Intrigen, nur Macht verspricht scheinbar Ruhm, dem sich alles unterordnen muss.

Johan Simons
Foto: Brüggeman Holtgreve Kruse
Zur Person

Johan Simons, geboren in Heerjansdam (NL), absolvierte eine Ausbildung zum Tänzer und Schauspieler. 1976 wurde er Direktor und Schauspieler der Haagsche Comedie, später gründete er zusammen mit Paul Koek die Theatergroep Hollandia. Von 2010 bis 2015 leitete er die Münchner Kammerspiele, während dessen Königin Máxima ihm den Prinz-Bernhard-Kulturfonds-Preis verlieh. 2015 bis 2017 war er Intendant der Ruhrtriennale – nun im Schauspielhaus Bochum.

Johan Simons inszeniert in Bochum Lion Feuchtwangers „Jüdin von Toledo“ auf einer Bühne mit andauernder Erdrotation, auf der Achse hängt eine weiße Styroporwand aus Blöcken, mit deren Größe wohl auch die Klagemauer in Jerusalem gebaut sein könnte (Bühnenbild: Johannes Schütz). Um diese Wand herum verspielen die Protagonisten ihre Leben, dreht sich die weiße Fläche, wechseln Bilder, Orte, Gegebenheiten. Was eher chic als Auseinandersetzung des Glaubens um den einzigen Monotheismus beginnt, bleibt eigentlich ein Streit um Macht, um Ehre um falsch verstandenes Rittertum und es bleibt ein Kampf um Liebe, die wie Feuchtwanger beschreibt, mehr „Honiglecken an Dornen“ denn Erfüllung ist.

Aber so weit ist es ja noch nicht, wenn der jüdische Kaufmann Jehuda Ibn Esra (Pierre Bokma) als Wirtschaftsfachmann in die Dienste des jungen Königs von Kastilien tritt. Erfolgreich ist er dies bereits im Süden der spanischen Halbinsel beim Emir von Sevilla gewesen, jetzt soll er die christliche Staatskasse füllen, denn Alfonso VIII. (Ulvi Erkin Teke) will auch beim europäischen Kriegsspiel mitmachen. Der nächste Kreuzzug kommt bestimmt, und nur so kann man im 12. Jahrhundert ritterliche Aufmerksamkeit und Anerkennung ernten. Doch wer Sturm säht …, kennen wir ja, bei Feuchtwanger heißt das: „Eine Unze Frieden ist besser als eine Tonne Sieg.“ Also bekommt der blutrünstige Monarch eine zweite Chance. Jehuda reformiert die Wirtschaft und hat ein Töchterlein, die kluge, schicke, selbstbewusste Schöne Raquel (Hanna Hilsdorf): beide – Ritter und Jüdin – sofort verliebt, gegen alle Mahnungen und negativer Perspektiven. Der Teufelskreis dreht sich, die Mauer wird ein Lustschloss, ein Kind wird geboren. Doch der Papst will jetzt endlich wieder die Grabeskirche zurück und die Königin ihren Gatten.

Foto: Jörg Brüggemann / Ostkreuz

Simons inszeniert quasi in einer Kunst-Installation. Seine Personen kreisen um ihre Geschichte, die Schnittmengen sind kurze Begegnungen, kaum Zeit etwas zu verhandeln, die Aktualität drängt sich vehement ins Verstehen der einzelnen Handlungsstränge und in das Wissen, wer am Ende die Niederlagen bezahlen muss. Dass sich in den Niedergang auch die Echtzeit-Geräusche der Königsallee einschleichen, schafft einerseits Nähe fürs Publikum, aber auch einen letzten Bruch in der Abstraktion der Performance, die Rollen und Erzähler und Kommentatoren (Gina Haller) wechselt, die mit englischen Übertiteln arbeitet und mit einem spielexakten internationalen Ensemble. Die Mauer wird symbolisch für den Kopulations-Orgien-Kriegsakt zerschlagen. Alfonso hat natürlich gegen die Mauren bei Arroyos verloren, ihm bleibt am Ende nichts mehr, seine Gattin (Anna Drexler) hat daheim die Zügel übernommen und sich der jüdischen Nebenbuhlerin nebst Vater entledigt. Der Sohn überlebt, wird aber unauffindbar bleiben. Da kann die heilige Bochumer Bühnenmechanik hinfahren, wohin sie will. 

„Die Jüdin von Toledo“ | R: Johan Simons | Fr 14.12. 19.30 Uhr, Mi 26.12. 19 Uhr | Schauspielhaus Bochum | www.schauspielhausbochum.de

PETER ORTMANN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Chantal im Märchenland

Lesen Sie dazu auch:

Im Labyrinth der Gespräche
„Die kahle Sängerin“ am Schauspielhaus

Ein Baum im Herzen
„Eschenliebe“ am Schauspielhaus Bochum – Prolog 03/24

Familiendrama
„Die Brüder Karamasow“ im Schauspielhaus

Siehst du, das ist das Leben
„Der erste fiese Typ“ in Bochum – Theater Ruhr 06/23

Mit Psyche in die Unterwelt
„Underworlds. A Gateway Experience“ am Schauspielhaus Bochum – Prolog 01/23

Tonight's the Night
Musikalische Silvester an den Theatern im Ruhrgebiet – Prolog 12/22

Das Kollektiv als Opfer
„Danza Contemporanea de Cuba“ in Bochum – Tanz an der Ruhr 12/22

Zeichenhafte Reduktion
NRW-Kunstpreis an Bühnenbildner Johannes Schütz verliehen – Theater in NRW 12/22

„Es geht um eine intergenerationelle Amnesie“
Vincent Rietveld über „Bus nach Dachau“ am Schauspielhaus Bochum – Premiere 11/22

Keine Versöhnung in Sicht
„Einfach das Ende der Welt“ am Schauspielhaus Bochum – Prolog 10/22

The Return of Tragedy
Theater im Ruhrgebiet eröffnen die neue Spielzeit – Prolog 09/22

„Viele Leute sind froh, dass sie in Bochum sind“
Liesbeth Coltof über „Hoffen und Sehnen“ – Premiere 06/22

Bühne.

Hier erscheint die Aufforderung!