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Raiko Küster und Juliane Fisch in „Mephisto“
Foto: Thomas Aurin

Bretter, die nicht die Welt bedeuten

27. Mai 2016

Daniela Löffner inszeniert Klaus Manns „Mephisto“ im Bochumer Schauspielhaus – Auftritt 06/16

„Wer sich behaglich mitzuteilen weiß, den wird des Volkes Laune nicht erbittern.“ Genau, Johann Wolfgang – und deshalb werden lange Theaterabende auf die deutschen Bühnen zurückkehren, nicht dass uns die Macher mehr zu sagen hätten, nein – aus Prinzip. In Bochum rechtfertigt man sich bereits. „Wir sind doch hier nicht im Fernsehen“ – Erklärung eins. „Hier gibt’s keine Handygeschwindigkeit“ – Erklärung zwei. „Wozu braucht uns die Gesellschaft?“ Die einzig mögliche Antwort: Für nichts. Die zeitgenössische Handygeschwindigkeit hat diesen lahmen Apparatschik (Funktionär im Staats- oder Parteiapparat) nämlich längst überholt. Eine nachgefragte Masturbationsvorlage fürs sterbende Bildungsbürgertum ist er vielleicht noch. Aber fast vier Stunden lang? Hört auf zu malen, malte einst Jörg Immendorff auf ein Stück Leinwand, hört auf zu inszenieren, so inszeniert am Bochumer Schauspielhaus Daniela Löffner fast einen Klaus-Mann-Mephisto, der erst zwischen einem Catwalk weit ins Publikum (sehr zum Leidwesen der Festabonnenten übrigens) und der Bochumer Theaterkantine, später nach der Pause auch im zerrupften Berliner Bühnenboden und immer noch Laufsteg sein (Un-)Wesen treiben muss.

Raiko Küster spielt diesen aufstrebenden jungen Künstler im aufstrebenden Tausendjährigen Reich. Er transportiert damit nicht nur die alte Frage nach dem Sinn der Theater, sondern vielleicht auch nach der Verantwortung der Künstler gegenüber der politischen Lage im Land. Daniela Löffner macht es sich im großen Haus dafür nicht leicht, erst nach zwei Stunden gibt es eine Pause, da ist Hendrik Heinz Höfgen bereits in Berlin angekommen, Karrieresprung, Durchsetzungsvermögen, die Götter meinen es gut mit dem kleinen Tausendsassa aus Düsseldorf. Küster knallt ihn auf die Bühne, dass einem manchmal bang wird, selbst Beleuchtungseinrichtungen auf dem Laufsteg gehen dabei zu Bruch, doch Götter sind da nicht im Spiel, selbst der Himmel ist nur eine silbrige Spiegelung des Hier und Jetzt oder Damals. Die geschickte Mischung der Zeiten begann bereits in der Bochumer Kantine „Spielen wir jetzt heute oder 1926?“ Dort brechen die ersten politischen Kämpfe auf, Höfgen mittendrin, aber schon da erkennbar nicht mit dem Herzen. Die Gegenwart verschwimmt, die Vergangenheit setzt sich durch, die Kantine wird bei „machse mal Arbeitslicht“ abgebaut: Löffner erklärt uns das Theater und seine Mechanismen. Der Inspizient sagt live die Szenen an, das Saallicht brennt, die Schauspieler leben ihre Selbstbefindlichkeit auf, vor und hinter Probe und Premiere. Dieses aufgesetzte „toi toi toi“, dieser respektlose Respekt, du warst so gut (gedacht: ich wäre besser gewesen) kommt, das ist langweilig. Und noch schlimmer wird‘s: Brauchen wir das tatsächlich, dass uns so auch noch das müde Zeitgeschehen um die rechtspopulistische AfD oder den schleichenden sozialdemokratischen Niedergang von Dick und Doof in einer Person vor Augen geführt wird? Mir scheint, eher das Gegenteil wird damit erreicht.

Im zweiten Teil erst mal Höfgen als Hamlet, der Chor, der Geist, die Masken mit Lämpchen, ein Fußballer-Witz zum Umzug in die Hauptstadt: „Mailand oder Madrid – Hauptsache Italien“ (Andreas Möller). Jetzt muss Höfgen den Teufelspakt besiegeln, der ihn an die deutsche Theaterspitze schwemmt. Die Freunde sterben, das lässt ihn kalt. Mit Recht, „denn alles, was entsteht, ist wert, daß es zugrunde geht“. Silbrige Vorhänge lenken von den maroden Brettern, die nicht mehr die Welt bedeuten, ab, lenken auch ab von Ministerpräsidentengattin Lotte Lindenthals Talentleck und auch von Grausamkeiten der Nazi-Schergen (obwohl: Mein Gott ist dieser Säbel schön). Die Nazi-Symbolik übernimmt das Bühnenbild (Thilo Reuther), etwas Horst-Wessel-Lied, etwas Verrat an der farbigen Sadomaso-Gespielin, etwas Hochzeit mit der alten Freundin Nicoletta von Niebuhr – keine Jüdin! Der dicke Fliegergeneral grinst sich eins.

Hier wird die Inszenierung, inklusive der dilettantischen Live-Filmszene aus der Intendanten-Loge, fast Volkstheater. Der Schluss kommt abrupt und böse: Der völkische Dichter Benjamin Pelz hält eine ganz und gar überflüssige Rede vom intellektuellen Flirt mit dem Sadismus, von der schieren Gier nach Blut und Ehre, der Notwendigkeit der braunen Flut, dessen künstlerische Hauptfigur Hendrik Höffgen sei, obwohl der doch eigentlich lieber ein „ganz gewöhnlichen Schauspieler“ sein wollte. Pech gehabt. Gustav Gründgens war oben, zu weit oben für meinen Geschmack.

„Mephisto“ | R: Daniela Löffner | Fr 3.6., So 26.6. je 19.30 Uhr, So 5.6. 17 Uhr, So 12.6. 19 Uhr | Schauspielhaus Bochum | 0234 33 33 55 55

PETER ORTMANN

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