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Bio-Grafisches

27. Mai 2016

Reale und fiktive Lebensläufe in Comicform – ComicKultur 06/16

Mathilde Ramadier und Anaïs Depommier erzählen von „Sartre“. Es ist wohl nicht die leichteste Aufgabe, einen Denker dieses Kalibers grafisch zu porträtieren. Gestalterisch und erzählerisch halten sie sich an einen konventionellen Stil: In schönen Farbzeichnungen erzählen sie ihre Chronologie des Literaten und Philosophen. Allerdings gelingt es ihnen vor allem in den langen Dialogszenen das Denken von Sartre, de Beauvoir und den Umstehenden zu skizzieren, auch wenn vieles nur angerissen wird und Vorkenntnisse nicht schaden, um alle Anspielungen zu verstehen (Egmont). Nicht ganz so bekannt wie Sartre ist „Zátopek“. Der tschechische Läufer Emil Zátopek hat mit seiner ungewöhnlichen Trainingsmethode und seinem erstaunlichen Ehrgeiz an die Grenze zu gehen die Wettkämpfe der 50er-Jahre beherrscht. Jan Novák und Jaromír 99 („Alois Nebel“) haben dem Sportler mit ihrer außergewöhnlich gestalteten, an kommunistische Propaganda-Kunst erinnernden Biografie ein Denkmal gesetzt, das in Stationen von seinem Leben erzählt und nebenbei auch den politischen und sozialen Rahmen in dem Ostblockland skizziert (Voland & Quist).

Love & Rockets“ ist die groß angelegte Erzählung der Los Bros. Hernandez Gilbert und Jaime. Inzwischen sind die Erzählungen, die sich vor allem auf zwei Erzählstränge in der Subkultur von Los Angeles (Jaime) und einem Dorf in Lateinamerika aufteilen (Gilbert) auf knapp 4000 Seiten angewachsen. Die fünf von 1989 bis 1994 erschienenen Sammelbände des „L&R“-Magazins hat Reprodukt seinerzeit auf Deutsch veröffentlicht. Lange vergriffen, startet mit „Der Tod von Speedy“, der von Jugendlichen in den 80er-Jahren und ihrer Suche nach dem Platz im Leben erzählt, nun eine Neuauflage (einziger Makel: die Originalcover fehlen). Zugleich erscheint mit „Liebe und Versagen“ eine aktuelle Geschichte von Jaime aus dem Jahr 2014: Hier ist die jugendliche Protagonistin aus „Der Tod von Speedy“ Mitte vierzig und lebt ihren Alltag. Doch die Vergangenheit lässt sie nicht los. Jaime Hernandez erzählt mit seinen schlichten Schwarz-Weiß-Zeichnungen angenehm undramatisch, realistisch und einfühlsam von ganz normalen Menschen. Den Hernandez Bros. gelingt ein Porträt einer ganzen Generation – und das seit über dreißig Jahren! Es wäre schön, wenn Reprodukt den Faden auch langfristig aufgreift. Mit „Wege aus dem Viertel“ erscheint Gabi Beltráns Sequel zu „Geschichten aus dem Viertel“. Beltrán erzählte dort von seiner schwierigen Kindheit und Jugend in einem Palma de Mallorca, das so gar nichts mit unseren touristisch geprägten Vorstellungen gemein hat. Zwischen dysfunktionaler Familie und kleinkrimineller Clique ist auch Beltráns im neuen Band geschilderte Jugend nicht gerade gesegnet mit Liebe und Geborgenheit. Bartolomé Segui erweckt die Erinnerungen in gedeckten Farben zum Leben (Avant Verlag).

Der Franzose Winshluss hat schon Disneyfiguren und Pinocchio respektlos neu interpretiert, an der Verfilmung von Marjane Satrapis „Persepolis“ war er auch beteiligt. Mit „In God we trust“ widmet er sich nun ausgiebig der Blasphemie. Wo Robert Crumb mit „Genesis“ nur eine fleischlichere Variante der Bibel inszenierte, hat Winshluss in zahlreichen Zeichenstilen und Formaten von Kurzgeschichten über Cartoons zu Werbeanzeigen nur Spott übrig. Religiöse Gefühle verletzen? Ehrensache! Oh Gott, ob Satire das darf … (Avant Verlag).

Christian Meyer

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